Zeit ist Geld

(Letztes Update von Niklas Baumgärtler am 26.5.2021)

Mein Experiment, eine Woche lang nur mit dem durch Strassenmusik eingenommenen Geld auszukommen, trägt unerwartete Früchte. Nicht nur, dass ich dadurch jeden Tag an der Strasse sitze, alleine oder mit Freunden, und dies diverse sonst wohl unmögliche Begegnungen ermöglicht – so artete ein zufälliges Treffen mit einigen Deutschen und einem Freund aus Kongo in eine allgemeine Tanz-Session bei Sonnenuntergang aus – es bringt auch zum Nachdenken über sonst alltägliche Angewohnheiten.

Schlechte Gewohnheiten

Unter anderem wird mir gerade (wieder einmal) meine Angewohnheit bewusst, mich mit Schokolade vollzustopfen, wenn ich welche zuhause habe. Nicht etwa ein Stück, sondern im Normalfall die ganze Tafel auf einmal. Zurück in Österreich waren es diese nachgemachten Prinzenrollen um einen Euro, deren 500g ich regelmässig auf einen Sitz verputzte, „weil es sich nicht auszahlt, da was überzulassen“. Jetzt, innerhalb meines Experiments, habe ich einfach nicht das Geld für diese Ausgaben. Obst ist einfach trotz allem günstiger, um diesen irrationalen Hunger nach Energie zu stillen.

Zudem hat sich meine Annahme, es wäre bei den niedrigen Preisen der Restaurants hier und der hohen Preis des Supermarktes irrational, nicht die Restaurants zu besuchen, als unrichtig herausgestellt. Natürlich, wenn ich mir jeden Tag ein Gericht mit Fleisch zubereiten will, dann wird das schnell teuer. Aber Brötchen mit Honig, Polenta oder der gute alte Kaiserschmarrn sind um einiges günstiger als der Chinese um die Ecke. Problematisch sind eher Vitamine, weil Gemüse nicht so günstig ist, aber dies lässt sich mit ein wenig Obst ausgleichen. Im Uni-Restaurant (das mit umgerechnet 50 Cents absurd günstig ist hier) gibt es zudem auch oft Fleisch und Gemüse zu dem täglich gleichen Bohnen mit Reis.

Wer ein begrenztes Budget zu verwalten hat, fällt auch nicht mehr so leicht auf die Falle hinein, sich so grosse Portionen aufzuladen, die im Endeffekt nur wieder zu Bauchschmerzen führen, oder Dinge zu kaufen, die dann nicht verwendet werden, weil ein jedes abgelaufene Produkt verschwendetes Geld bedeutet. Lieber kleinere Mengen, kleinere Portionen, als zu verschwenden.

Ist Zeit nur Geld?

Die für mich überraschendste Erkenntnis jedoch ist, wie viel Zeit für den Einkauf und die Zubereitung von Mahlzeiten verbraucht wird – im Regelfall mindestens eine halbe Stunde für jede Mahlzeit. Diese Zeit zahlen wir natürlich mit, wenn wir ein Restaurant besuchen, und hier wird es spannend: Wir arbeiten also länger, um mehr Geld zu verdienen, damit wir die Zeit einsparen, die wir sonst zum Zubereiten unserer eigenen Mahlzeiten verbrauchen würden. Angenommen, wir arbeiten in unserem Traumjob, mag dies eine gute Sache sein, Arbeitsteilung in seiner positivsten Ausprägung. Aber wenn wir etwas tun, was uns nicht erfüllt, um genug Geld und so wenig Zeit zu haben, dass der Restaurantbesuch effektiver wird, läuft etwas schief.

Zeit ist Geld, heisst es – eine befremdliche Vorstellung. Meine Zeit sinnvoll zu nutzen, bedeutet also, sie in Geld umzuwandeln? Natürlich ist die Umwandlung meiner Zeit in Geld durch Arbeit eine Variante, meinen Bedürfnissen nachzukommen. Aber warum nicht – wo möglich – den direkten Weg nehmen? Selbst zu kochen. Selbst herzustellen, was wir zum täglichen Leben brauchen.

Vielleicht hattet ihr mehr Glück, aber ich kann mich nicht erinnern, in meiner Schulzeit sehr viel über praktisch anwendbares Wissen in dieser Richtung gelernt zu haben. Ich habe gelernt, Integrale und Differenzialgleichungen aufzulösen, aber nicht, mein Fahrrad zu reparieren. Chemische Reaktionen auf dem Papier herzuleiten, aber nicht, simple Gerichte zu kochen. Natürlich lernt man mit der Zeit einige Tricks – ich bringe meinen Kaiserschmarrn hin und meine Experimentalgerichte mit jedes Mal anderen Zutaten, die ihren Zweck erfüllen. Trotzdem verstört mich das Ausmass des Missverhältnisses zwischen Dingen, die ich (ausser es anderen Schülern beizubringen) noch nie angewandt habe und dem, was ich aus heutiger Sicht gerne in einer Schule gelernt hätte: es ist gigantisch.

Es scheint, als wurde ich in der Schule darauf vorbereitet, Geld zu verdienen und dieses Geld zur Befriedigung meiner Bedürfnisse wieder auszugeben. Eine Ausbildung zum indirekten Menschen, der ohne seine Unterordnung in dieser Form des Austausches unfähig ist, zu überleben. Zu einem Menschen, der ich nicht mehr sein will. Aber wo anfangen? Wo finde ich die nötigen Werkzeuge und Materialien? Wo die Menschen, die mir helfen können und auch wollen? Ich weiss, dass ihr irgendwo dort draussen existieren müsst.

Wo seid ihr?

Niklas

Portrait Niklas Baumgärtler

Niklas Baumgärtler

Niklas Baumgärtler interessiert sich für die Kunst der Begeisterung und macht gerne Wechsel- und Hebelwirkungen in Sozialen Systemen sicht- und erlebbar. Mehr über Niklas Baumgärtler...

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