Letzten Freitag wollte ich mit einer Freundin die Grottenbahn am Linzer Pöstlingberg besuchen. Ich hatte damals, als ich meinen Hauptwohnsitz in Linz angemeldet hatte, ein Gutscheinheft mit unter anderem einer Freikarte für zwei Personen für die Märchenwelt bekommen, die wir auszunutzen gedachten. Da es ein schöner Herbsttag war, beschlossen wir, von der Nibelungenbrücke aus zu Fuss den Pöstlingberg zu erwandern, suchten uns den ungefähren Weg im Internet heraus und legten los. Der Weg schien einfach – es hiess, einer Strasse zu folgen und dann in eine andere einzubiegen –weswegen wir es nicht für nötig befanden, uns weitere Notizen zu machen.
Bald stellte sich heraus, dass wir den Namen der zweiten Strasse vergessen hatten, weswegen wir auf gut Glück eine der ungefähr in Richtung Pöstlingberg führenden folgten. Wir entdeckten eine kleine Weide mit Schafen, die wir fütterten, passierten wunderschön herbstlich gefärbte Wälder (beobachteten dabei auch zwei Eichhörnchen) und kämpften uns, als uns klar wurde, dass wir uns bereits viel zu weit nördlich befanden, auf geradem Wege durch einen Wald den Pöstlingberg hinauf, was zwar anstrengend, aber auch eine schöne Erfahrung war.
Als wir dann endlich die Grottenbahn selbst erreicht hatten, war die nur einige Minuten dauernde Fahrt und die sich im Keller befindliche Märchenwelt im Vergleich mit den Erlebnissen, die uns unser Umweg beschert hatte, nicht mehr sehr aufregend. Warum ich euch die Geschichte überhaupt erzähle? Weil sie sich als Metapher für Lernprozesse gut eignet:
Eine Richtung statt einem Ziel
Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass Lernprozesse vielleicht keine fixen Ziele, wohl aber eine Richtung brauchen. Ohne unser Ziel, die Grottenbahn zu besuchen, hätten wir den Weg selbst gar nicht angetreten, wären vielleicht zuhause geblieben. Lernen, Wachstum, benötigt einen Impuls, eine Richtung, in die eine Veränderung beginnen kann.
Offenheit vs. Effizienz
Die Erreichung dieses Ziels ist immer über unzählige Wege möglich, wobei der effektivste wohl die Pöstlingbergbahn, die am Hauptplatz wegfährt, gewesen wäre. Wir wären zwar dabei wohl erheblich schneller an unserem (Lern-)Ziel angelangt, hätten aber all die Erfahrungen, die sich uns auf dem Weg dorthin eröffneten, verpasst. Die Optimierung von Lernprozessen, wie sie das Ziel vieler pädagogischen Methoden(-Verbesserungen) sein mögen, mögen in manchen Bereichen zu einer schnelleren Zielerreichung führen, gleichzeitig jedoch dadurch an Offenheit für andere interessante Erfahrungen verlieren.
Warum Ziele doch wichtig sind
Ein Ziel zu erreichen, das man sich selbst gesteckt hat, tut gut. All die schönen, zufälligen Erfahrungen, die wir auf unserem Umweg gemacht haben, hätten wohl einen schalen Beigeschmack bekommen, hätten wir die Grottenbahn gar nicht mehr gefunden, weil sie dann vielleicht auf Kosten des eigentlichen Ziels, als Ablenkung empfunden worden wären.
Wir haben uns das Ziel selbst ausgesucht. Wäre es etwa Teil einer extern gestellten Aufgabe gewesen, wäre ein Nicht-Erreichen deutlich negativer in Erinnerung geblieben. Es hätte zu einer Wertverteilung zwischen extern gesetztem Ziel (Grottenbahn) und zufälligen Erfahrungen zugunsten der Grottenbahn geführt, genauso wie es in der Schule eine deutliche Unterscheidung zwischen dem, was zur Prüfung kommt und dem Rest an möglichen interessanten Erfahrungen gibt. Sich selbst seine (Haupt-)Ziele stecken zu können, bedeutet auch, selbst eine Wertung über die verschiedenen möglichen Erfahrungen vorzunehmen.
Zeitliche Freiräume
Wir fühlten uns nicht unter Druck gesetzt. Natürlich hat die Grottenbahn ihre Öffnungs- und Schliesszeiten, an die wir uns zu halten hatten, aber da wir für eine Strecke von vielleicht 3 km einen Zeithorizont von fast sechs Stunden zur Verfügung hatten, konnten wir uns Umwege und spontane Genüsse erlauben, die den alleinigen Besuch der Grottenbahn selbst zu etwas Schönerem werden liess.
Vom Leben und Un-Leben
Um nun von dem Beispiel selbst wegzukommen: Ich glaube, dass es eine sehr wertvolle Erfahrung auch für sehr junge, angeblich „unverantwortliche“ Menschen sein kann, wenn sie sich ihre Entwicklungsrichtung selbst setzen (und damit eigene Wertungen diesbezüglich vornehmen) dürfen und genug (zeitlichen wie örtlichen) Freiraum haben, auch diese spontanen Erfahrungen zulassen zu können. Sie mögen nicht nur, wie es für den lehrplangewöhnten Erwachsenen erscheinen mag, ineffizient und sprunghaft in ihrem Handeln sein, sondern auch etwas viel wertvolleres: lebendig und damit in einem ständigen Entwicklungsprozess, der weder gut extern planbar noch steuerbar ist.
Wer keine Freude an dieser gerade Kindern eigenen Lebendigkeit und Unvorhersehbarkeit mehr empfinden kann, möge sich die Frage stellen, ob er nicht mehr Erfolge in der Arbeit mit fester, toter, begrenzter Materie, mit Nullen und Einsen, Schwarz und Weiss finden wird.
Denn das Leben selbst wogt in einem unbegreiflichen Tanz, und die Hand, die es uns reicht, ist das Jetzt.
Niklas