Der Wahlkampf ist angebrochen, mit all seinen Skurrilitäten wie Koalitionspartner, die sich gegenseitig für einige Wochen schlecht machen wollen, christliche Aufreger durch FPÖ-Plakate und den Grünen, die sich zwar nicht als allzu toll, aber immerhin als „am wenigsten belämmert“ präsentieren, FPÖ-Plakate, des Nächtens mit Hitlerbärten und „Nazis raus!“ verziert, und den üblichen gegenseitigen Anfeindungen zwischen den Widersachern um die Wählergunst. Ein Stronach als ebenso neue Partei wie etwa die Piraten, der von Start weg als einzige ernstzunehmende Alternative präsentiert wird. Und mitten drin, neben fast jedem Plakat, eine zugegebenermassen brilliante Werbekampagne von Drei neben fast jedem Plakat, die es (vermutlich bewusst auf die Schaufel nehmend) ins Skurrile führt: „Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz. Sicher nicht.“
Mittlerweile habe ich auch endlich jemanden gefunden, der tatsächlich SPÖ wählt, ich hatte schon vermutet, die hohen Stimmenanteile waren schlicht und einfach auf gravierenden Wahlbetrug zurückzuführen, weil ich so gar niemanden kannte, der die SPÖ tatsächlich wählte. Einen Freund, der mir erklärte, der ganze Schmarrn interessiere ihn nicht, er hätte mal gehört, die SPÖ stehe für die Arbeiter ein, er wäre ein Arbeiter, also warum länger darüber nachdenken?
Mit dem Nahen einer Wahl naht auch das übliche Schimpfen über die FPÖ als rechte Partei mit ihren „veralteten Ideologien“, ihrer Diskriminierung der Ausländer und Bevorzugung der Inländer. Während linke Parteien nachgesagt wird, sie wären für eine totale, nicht tragbare Öffnung der Grenzen und anreizlose Sozialleistungen (gerne als Faulheit bezeichnet), stehen rechte Parteien angeblich für ein Aufrechterhalten der Grenzen, der Diskriminierung (was wörtlich nicht viel mehr als sichtbare Trennung oder Sichtbarmachung der Trennung/Unterschiede bedeutet). Rechte und linke Parteien entsprechen augenscheinlich im Grossen und Ganzen der Funktionsweisen unserer jeweils gegengleichen Gehirnhälften.
Nirwana im Parteiprogramm
Während die Funktionsweise der rechten Gehirnhälfte wohl am ehesten mit der Erfahrung des Nirvana, der Aufhebung der Trennung aller Dinge und völligem Aufgehen in die Einheit beschrieben werden kann, arbeitet die linke Gehirnhälfte angeblich stark mit der Trennung und Einordnung in Kategorien, mit der Diskriminierung. In einem faszinierenden Video beschreibt Jill Bolte Taylor, wie ein Schlaganfall ihre linke Gehirnhälfte zeitweise ausser Gefecht setzte und sie dabei unter anderem die Erfahrung machte, dass sie nicht mehr zwischen ihrem eigenen Arm und der Umgebung unterscheiden (diskriminieren) konnte. Sie beschreibt es als eine spirituelle Erfahrung, aber auch, wie sehr sie dadurch in ihrer Macht eingeschränkt war, etwa, die Telefonnummer des Notrufes noch zu entziffern (zu diskriminieren).
Es scheint eine tief in uns verankerte Anlage zu existieren, die uns zwischen diesen Polen des völligen Aufgehens in der Einheit und des völligen Ich-Seins, der völligen Trennung voneinander, pendeln lässt, weil beide Richtungen bestimmte Zwecke erfüllen, und eine dauerhafte Verschiebung in eine Richtung oder auch nur das Verharren in der Mitte dazu führen muss, dass wir gewisse Möglichkeiten nicht nutzen können. Diese Starre, dieses Ende der Geschichte, ist für mich die grosse Gefahr einer rein rechten oder rein linken oder auch nur rein gemässigten Strömung. Es wird Situationen geben, in denen ein radikal egoistisches Verhalten sinnvoll sein mag, ebenso wie es Situationen geben wird, in denen ein radikal selbstloses Handeln angebracht sein wird, oder eine Mischform in der gemässigteren Mitte. Das Problem an sich ist nicht die ideelle Ausrichtung selbst, sondern die Weigerung, ihren Gegenpol zu inkludieren und damit verfügbar zu machen.
Corpus callosum
Unser System der repräsentativen Demokratie mit ihren langen Wahlzyklen verfestigt diese Starre umso mehr, begünstigt langfristig demnach eher gemässigte Parteien, weil die radikaleren Ausführungen wie etwa FPÖ oder die Grünen ihre Gegenpole noch weniger inkludieren als die Parteien der Mitte, die zwar oft zu wenig, aber zumindest ein wenig in beide Richtungen zu regieren vermögen. Ein Akzeptieren der Meinungen der anderen Parteien, ein echtes Kooperieren, was die Abdeckung eines weit grösseren Spektrums ermöglichen würde, ist in der Konkurrenzsituation unserer repräsentativen Demokratie kaum vorgesehen. Und so regieren die Mitte-Parteien fröhlich weiter, bis eine der radikaleren Strömungen hineinkommt und die entsprechende Gegenströmung (in Österreich wohl hauptsächlich FPÖ und Grüne) daraufhin folgt.
Ich bin ich bin wir nicht ihr
Interessanterweise ist der Anti-Ausländer-Wahlkampf der FPÖ dem anderer Parteien gar nicht so unähnlich, ohne dass die es zu bemerken scheinen. Während die FPÖ ein wir-gegen-sie in die Welt werfen mag und dafür allerorts zurechtgewiesen wird, fördern andere Parteien eben ein kapitalistisch orientiertes Ich-gegen-die-Welt/Konkurrenz. Diskrimination (ich oder wir, und ihr) und eine Bevorzugung einer Gruppe oder Person (ich, oder wir). Im Grunde können wir all diese Forderungen wohl der linken, analytischen Gehirnhälfte zuordnen.
Die rechte Gehirnhälfte, die vielleicht der KPÖ, vielleicht auch die Grünen oder die Piraten zuzuordnen sind, fordern in unterschiedlicher Radikalität ein Verbrüdern, ein Vereinen, vielleicht gar ein Aufgehen in ein grösseres Ganzes, vor dem sich eine FPÖ (siehe EU) wehrt. Vereint zu sein, bedeutet jedoch auch, individuelle Macht einzubüssen. So sehr Jill Bolte Taylor dieses Gefühl der Einheit mit der Welt genoss, das Gefühl der Grösse und der Gemeinsamkeit mit ihrer Umgebung, so machtlos war sie auch dadurch, ihre Umgebung zu beeinflussen. Ohne unsere Trennung voneinander fehlt uns der Hebel, die Welt aus den Angeln zu heben, weil wir dann selbst diese Welt sind.
Diskrimination im neutralen Sinn, im Sinn des Aufzeigens der Unterschiede, halte ich für eine sehr nützliche Fähigkeit. Aber ohne die Fähigkeit, diese Unterschiede immer wieder überwinden und zu gegenseitigem Verstehen zu führen, kann sie viele gefährliche Folgen wie Rassismus oder Verfolgungen aufgrund von religiöser Gesinnung nach sich ziehen.
Warum hat unser Gehirn zwei Hälften, die so unterschiedlich arbeiten, und eine verbindende Brücke? Ich weiss es nicht. Aber es kommt mir absurd vor, einen Menschen vor die Entscheidung zu stellen, welche Gehirnhälfte er die nächsten fünf Jahre gerne nutzen würde. Tja –
Willkommen zur Nationalratswahl..
Niklas