Als ich heute mit einer Bekannten am Uni-Park vorbeiging, sahen wir eine Frau direkt vor dem Uni-Gebäude einen grossen Kreis mit Sand formen. Leicht verwirrt fragten wir, was sie denn vorhatte? Sie erklärte uns irgendetwas mit Griechenland (mein Portugiesisch…) und dass es um fünf Uhr beginnen würde. Als wir um fünf wieder zurückkamen, um dem Spektakel beizuwohnen, sahen wir einen Mann in weissen Gewändern und Ketten, umringt von schwarz verhüllten Gesichtern, entzündete Feuer um den Kreis aus Sand und ein etwas verwirrt, etwas sandlerhaft wirkender älterer Mann, der monoton auf eine Handtrommel einschlug. Hä?
Und dann entwickelte sich vor unseren Augen die Geschichte von Promotheus, dem Gott, der den Menschen das Feuer brachte. Es war Open-Air-Theater! Der sandlerhaft wirkende Mann war der Theaterprofessor, der das Orchester ersetzen sollte. Manche Dialoge waren akustisch schwer zu verstehen. Eine der um den Kreis aufgestellten Fahnen fiel durch einen Windstoss in eines der Feuer und entzündete sich fast. Aber es war eine brillante Idee, die ich unbedingt mit euch teilen wollte.
In diesem Fall waren es professionelle Theaterstudenten, die sechs Monate auf diese Aufführungen (die die ganze Woche stattfanden) hingearbeitet hatten. Aber ein ähnliches Konzept lässt sich meiner Meinung auch für Laientheatergruppen verwenden. Wie bei Strassenmusik könnte man dabei einfach einen Hut mit dem Aufruf zum Spenden aufstellen oder durchgehen lassen. Die Produktionskosten reduzieren sich um ein Vielfaches, wenn die Räumlichkeiten nach aussen verlegt werden können.
Möglich wäre auf diese Art und Weise sogar ein interaktives Theater, in dem immer nur kurze Passagen aufgeführt werden und die Zuschauer den Weiterverlauf der Handlung mitbestimmen können, weil diese immer erst nach der Aufführung weitergeschrieben wird. Eine Art Wochen- oder Monats-Theater wäre so denkbar.
Geben ist seliger denn tauschen
Vor allem aber ermöglicht es dieses Modell der öffentlichen Aufführung, alle Gesellschaftsschichten teilhaben zu lassen, wirbt für sich selbst (wenn die Aufführung gut ist) und verschiebt den Fokus von der extrinsischen Motivation und dem Tauschgedanken (ich spiele und bekomme Geld dafür) hin zu einem Geben und dem Bitten um Unterstützung in diesem Geben. Amanda Palmer spricht in einem absurd gutem TED-Talk darüber, wie sie ihre Musiker-Karriere auf diesem Geben aufbaute. Sie beschreibt, wie sie von dem Gedanken, wie sie Leute dazu bringen könnte, ihr für ihre Musik Geld zu geben, dazu überging, die Menschen einfach darum zu bitten.
Mir ist durchaus bewusst, dass unser alltägliches Leben, unsere alltäglichen Interaktionen in vielen Situationen auf Tausch, auf das richtige, faire Verhältnis von Geben und Nehmen aufgebaut ist. Doch diese Gerechtigkeit ist in sich selbst eine subjektive Perspektive auf die Welt, die für mich nicht nur von Angebot und Nachfrage abhängig ist. Die Alternative, Menschen zu fragen, sich ihrer Wertung zu unterwerfen und ihnen zu vertrauen, für einen zu sorgen, mag in unserer Gesellschaft nicht sehr angesehen sein. Wie kommen wir dazu, zu bitten, wenn wir auch verlangen können? Nur Bettler bitten, anständige Menschen verdienen sich ihren gerechten Anteil.
Sandler’s Traum
Warum sind wir oft nicht willens, einem Bettler seinen Euro, um den er bittet, zu geben, obwohl wir genug Geld haben? Mir fallen dazu zwei Gründe ein. Zum einen, weil sie manchmal aufdringlich sind, eine Spende verlangen, anstatt darum zu bitten. Und zum anderen, weil sie in vielen Fällen nicht für etwas stehen, das wir für unterstützenswert befinden. Der kauft sich doch eh nur Bier davon… doch manchmal traf ich diese besonderen Menschen, aus verschiedensten Gründen ohne eigene Mittel, aber mit Träumen. Ich erinnere mich gut an einen Mann, den ich letzten Herbst im Unipark traf, mit dem und seinen Freunden ich Gitarre spielte und der mir erzählte, er würde so gerne mit allen seinen Freunden hier wieder einmal etwas essen, was nicht aus dem Müll gefischt war. Ich hielt das für ein sehr unterstützenswertes Vorhaben und schenkte ihm umgerechnet etwa 20 Euro dafür. Kurze Zeit später kam er mit einigen Säcken zurück und wir alle speisten, was vermutlich die Mehrheit der Leser dieser Zeilen jeden Tag speisen dürften: frisches Essen vom Supermarkt.
Lehren von der Strasse
Ich glaube, aus dieser Geschichte lassen sich wertvolle Lektionen ableiten. Der Bettler übte keinen Druck auf mich aus. Er erzählte mir schlicht von seinem Traum, so klein und unbedeutend dieser für viele auch wirken mag. Und ich entschied mich in Freiheit dazu, ihm bei der Umsetzung dieses Traumes zu helfen. Es scheint sich um ein universales Gesetz zu handeln, dem wir hier näher kommen.
Um zu dem eingangs erwähnten Theater zurückzukommen, folgte auch diese Theateraufführung diesem Gesetz. In ihrer Aufführung präsentierten sie ihren Traum, ihre Vision, Theater zu spielen, und in ihrem Stehenbleiben, ihrem Applaus und der meiner Meinung nach durchaus vorhandenen Bereitschaft, auch materielle Unterstützung für weitere Aufführungen beizusteuern, bekundeten die Passanten die Unterstützung dieses Traumes. Hätten sie um Geld gebeten, zumindest von mir hätten sie auch Geld bekommen.
Ist es möglich, sich seinen Träumen hinzugeben, seinem Geben an diese Welt, und darauf zu vertrauen, dass es Menschen gibt, die wollen, dass wir erfolgreich sind? Laut Almanda Palmer ist es das. Aber wir können es nicht erzwingen. Zu bitten, heisst, die Rüstung der Unverwundbarkeit und des Stolzes abzulegen. Heisst, ehrliche Meinungen anderer Menschen, ehrliche Wertungen zu akzeptieren, anstatt in der entweder-oder-Logik eines fixen Tauschwertes zu verharren.
Doch wer, wenn er nicht durch äussere Umstände gewzwungen wird, ist schon so mutig?
Niklas