Letzten Mittwoch habe ich in einer letzten Marathon-Session das Manuskript für mein erstes „richtiges“ Buchprojekt über sinnvolle Meetings und Teamsitzungen soweit fertiggestellt, dass ich es für „bereit“ hielt, Test-Lesern vorgelegt zu werden. Ursprünglich hatte ich mir vorgenommen, bis Februar soweit zu sein, aber nach einer ersten „Shitty draft“-Version begann ich mit der zweiten dann anspruchsvoll zu werden. Gewöhnt, Artikel oder kleinere Geschichten von 3-4 Word-Seiten am Stück zu schreiben, oft auch gleich zu überarbeiten und dann rasch zu veröffentlichen, ist der Abschluss größerer Schreibprojekte für mich eine riesige Herausforderung.
Womit ich gar nicht gerechnet hatte: wie klein der Prozentsatz der getippten Wörter ist, der letztendlich in der Endversion ankommt. In Zahlen ausgedrückt handelt es s ich (derzeit, ich werde wohl anhand des Feedbacks zur jetzigen Version noch einmal sehr viel um- und neu schreiben, bis ich – und meine Testleser – zufrieden sind) wohl um maximal noch 20%. Anders ausgedrückt: für ein 100-Seiten-Buch schreibe ich in Wahrheit gut 500 Seiten, von denen der Leser am Ende den Löwenanteil gar nicht zu Gesicht bekommt. Vielleicht ist es deswegen so schwer, die Arbeit eines Autors (oder Künstlers allgemein) von außen zu bewerten: man sieht immer nur den über der Oberfläche sichtbaren Teil des „Eisberges“ an Arbeit, und das Werk wird auch noch umso besser, je mehr sein Ersteller es reduziert hat.
Eine weitere überraschende Erfahrung war es, festzustellen, dass ein Teil von mir massiv Angst davor hat, fertig zu werden und vor allem für das fertige Werk Geld zu verlangen. Ich schreibe mittlerweile seit vielen Jahren regelmäßig und gerne auf meinen zwei Blogs, werde auch regelmäßig gelesen (Danke an dieser Stelle für die teilweise bereits jahrelange treue Leserschaft!) und freue mich sehr darüber. Aber tatsächlich Geld mit dem Schreiben zu verdienen, das fühlt sich wie eine Art „magische Grenze“ an, die einerseits wünschenswert erscheint, andererseits auch beinahe „identitätsgefährdend“ wirkt. Ich kenne diese magische Grenze aus Erzählungen von Bekannten und Freunden, die aus ihrer Leidenschaft einen Beruf machen oder zumindest ein Nebeneinkommen erzielen wollten, nur leider kaum jemanden, der sie auch mutig übertreten hat, was das Unternehmen in Ermangelung von Vorbildern nicht unbedingt erleichtert.
Und letztlich stelle ich gerade einerseits genervt von mir selbst als auch andererseits fasziniert fest, dass ich mich nach dieser ersten Vor-Veröffentlichung des Beta-Manuskripts am liebsten für mehrere Tage in einer Höhle verkriechen und weder Tageslicht noch Menschen sehen will. Angeblich nennt sich der Fachbegriff dafür laut kurzer Recherche „PPD – Post Publication Depression“ und beschreibt einen völlig normalen Prozess für Autoren. Na dann: offensichtlich überschreite ich gerade die identitätsgefährdende oder doch wohl vielmehr identitäts-verändernde Grenze, die es mir ermöglichen wird, es für denkbar zu halten, dass jemand tatsächlich für mein geschriebenes Wort Geld zu bezahlen bereit ist. Nach dem hier schon des Öfteren beschriebenen Heilkreis befinde ich mich dabei wohl einfach noch in der Frustrations-Phase, die jeder signifikanten Entwicklung vorangeht. Was von außen betrachtet sehr logisch und im Nachhinein betrachtet notwendig erscheint, ist nur leider im Zustand des Erlebens eine einzige Qual.
Ich habe mich gestern und heute schon den ganzen Tag damit gequält, ob ich über diesen Zustand schreiben sollte, weil er nur sehr am Rande direkt mit „Bildung“ zu tun hat und auch nicht wirklich die Form einer Geschichte hat. Allerdings weiß ich ja mittlerweile aus langjähriger Erfahrung, dass mir in solchen geistig/seelisch verwirrten Zuständen immer nur das Schreiben hilft, Ordnung in mein Innenleben zu bringen, wie in einer Art Selbst-Therapie. Was mir wiederum – beruhigenderweise – zeigt, dass die „magische Grenze“ des mit-dem-Schreiben-Geld-verdienens als identitätsstiftende Veränderung im Grunde auch nur eine weitere Illusion ist: Ich bin längst Autor, auf eine viel identitätsstiftendere Art und Weise, als es der Erwerb von Geld durch Tätigkeit jemals ausdrücken könnte.
Eine weitere Erfahrung, die ich mit den Jahren gewonnen habe, ist jene, dass das augenscheinlich Persönlichste in Wahrheit oftmals das Unversalste, Allgemeinste ist, nur in verschiedenfarbigen Kostümen. In der Hoffnung, aus meinen individuell qualvoll erlebten Zuständen durch ein Davon-Erzählen, ein Sichtbarmachen einen Mehr-Wert für andere zu machen, aus einem destruktiv erlebten Leiden etwas Konstruktives zu erschaffen, veröffentliche ich nun nach längerer Überlegung doch diesen Text.
Möge sich ein jeder darin finden, was er zu finden braucht.
Niklas