Vor einigen Jahren habe ich in einer Englisch-Nachhilfestunde spontan eine Methode entworfen, um meinen Schülern einerseits zu einem besseren Sprachbewusstsein zu verhelfen, andererseits vor allem, um ihnen die Angst vor der Nicht-Perfektion zu nehmen. Gerade im Englisch-Unterricht ist der verinnerlichte Zwang, nur richtig zu sprechen, ein massiv unterschätztes Hindernis auf dem Weg zu einem flüssigen Sprechen (und Schreiben). Denn die Kombination aus einem „Ich mache noch Fehler“ und einem „Ich sollte keine Fehler machen“ führt in vielen Fällen nicht zur Motivation, die noch vorhandenen – und beim Erlernen einer neuen Sprache völlig natürlichen – Fehler auszumerzen, sondern viel eher zu – Stille, und damit Stillstand in der Weiterentwicklung.
Die Methode ganz kurz
Meine Methode ist dabei sehr simpel und ist mit sehr wenig Aufwand umsetzbar. Anhand der Texte der Kinder schreibe ich einzelne Wörter, Satzteile oder ganze Sätze an die Tafel 1:1 ab und füge je nach Anzahl der Fehler eine entsprechende Anzahl an Strichen hinzu, etwa 3 Striche bei 3 Fehler. Aufgabe der Kinder ist es nun, gemeinsam alle Fehler im Geschriebenen zu finden und sie richtigzustellen, was wir gemeinsam (mit Aufzeigen) 1x/Woche für etwa 20-25 min lang machen (anfangs dauerte es fast eine ganze Einheit, was sich als zu lange herausgestellt hat). Dabei betone ich (wenn notwendig auch immer wieder) jeweils, dass es nicht darum geht, wer die Fehler gemacht hat, sondern darum, den Humor im Falschen zu finden. Nach einigen Wochen haben sich die Kinder immer schon darauf gefreut, welche Kuriositäten beim nächsten Mal wohl zu finden sein werden und herzlich mitgelacht (etwa beim Wort „gwitschent“, das wohl „quietschend“ heißen sollte und nur noch aus dem größeren Zusammenhang herleitbar war, oder als ich ihnen erklärte, man solle vielleicht, wenn man das Wort „doof“ verwenden möchte, es auch richtig schreiben können).
Mir ist dann irgendwann gesagt worden, das sei sehr schlimm für die „schlechteren Schüler“ wenn über Fehler öffentlich gelacht werde, was meinen Eindruck nicht entsprochen hat. Also habe ich einige im 4-Augen-Gespräch darauf angesprochen und erfahren, dass es sie nicht stört. Sicherheitshalber habe ich jedoch noch zusätzlich darauf geachtet, Fehler so auszuwählen, dass nicht anhand der Fehler klar ist, wer den Fehler gemacht haben muss (einige Kinder in der Klasse machen sehr spezifische Fehler die leichter zuordbar sind als andere).
Sichtbare Konsequenzen der Anwendung
Nach einigen Wochen ist mir aufgefallen, dass zahlreiche Kinder das Prinzip des lustigen Fehlersuchens innerlich aufgenommen haben, so rief ein Schüler z.B. einmal lachend während einer Deutschstunde „Ich hab fest mit zwei „t“ geschrieben!“, oder ein anderer, der besondere Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung hat, sagte nach dem Abschreiben eines Satzes von der Tafel grinsend „Ha, jetzt hab ich war schon wieder mit h geschrieben!“. Auch beim Schreiben der regelmäßigen Ausprobier-Schularbeiten jeden Freitag, bei denen die Schüler immer schneller mit dem Schreiben fertig wurden und daher immer mehr Zeit zum Kontrollieren ihrer Texte mit Hilfe des Wörterbuchs hatten, war oft ein Grinsen zu sehen, bevor jemand etwas verbesserte. Die Konsequenzen der Methode waren also nicht nur auf die Zeit der tatsächlichen Übung beschränkt sondern gingen weit darüber hinaus.
Einige dahinterstehende Prinzipien
Das lustige Fehlersuchen vereint in einer sehr simplem Methodik sehr viele mir wichtige Prinzipien. Es arbeitet mit den Texten der Kinder und erzeugt damit automatisch eine persönliche Relevanz und ganz andere Aufmerksamkeit. Man kann es auch anhand von vorkopierten Texten machen, aber damit verliert es einen Großteil seines Reizes. Dann bereitet es den Weg für eine gewisse sprachliche Experimentierfreude – wenn das Schlimmste, was bei einem Rechtschreib-Versagen meinerseits passiert, ein Anlass zum gemeinsam Lachen ohne Abwertung ist, wird eine Atmosphäre der Fehlertoleranz und Kreativität mitgefördert. Eines der – meiner Meinung nach – wichtigsten Aspekte im Lernen einer Sprache ist eine gewisse Spielfreude mit der Sprache, eine gewisse Unkontrolliertheit. Kreativität braucht den Raum, auch Sinnloses zu generieren, sonst bleibt sie in den Fahrwassern der Kontrolle stecken. Und Sinnloses kann man neben „falsch“ eben auch als „lustig“ uminterpretieren.
Ein weiteres Prinzip lässt sich zusammenfassen mit einem „Schauma wos passiert“ (Schauen wir mal, was passiert). Kinder schreiben wie sie glauben dass es richtig ist, und erst dann wird Feedback gegeben. Dieses Feedback ist jedoch nicht nur binär (richtig/falsch) sondern auch situationsspezifisch. Ein Schüler, der statt „war“ versehentlich „wahr“ geschrieben hat, wird also nicht nur hören, dass sein „wahr“ in dem speziellen Satz nicht passt und warum, sondern auch, dass sein „wahr“ an sich ein brauchbares Wort ist, nur in anderem Zusammenhang (mit Beispiel). Damit existiert kein absolutes richtig/falsch, sondern eher ein situationsspezifisches „Was ist die Konsequenz des Getanen, und wie unterschiedlich ist es zum Gewollten bzw. was much ich korrigieren, um Gewolltes und Getanes in Übereinstimmung zu bringen?“. Auf ein Kleinkind bezogen grafischer erklärt: Ein Kind, das nach einer Tasse greifen möchte, wird womöglich Stunden damit verbringen, die Handmuskulatur nicht richtig zu benützen, bis es exakt richtig greift und die Tasse hochheben kann. Aber all die für diese Intention „falschen“ Muskelbewegungen und das entsprechende Feedback ermöglichen es dem selben Kind, rascher einzuschätzen, wie es etwa einen Krug aufnehmen kann. Würde es nur nach einem binären richtig/falsch agieren, müsste es für jede spezifische Bewegung von vorne anfangen, so aber lernt es durch Misserfolge bei einer Intention für andere, ähnliche Intentionen gleich mit – und das gleiche Prinzip lässt sich auch auf das Erlernen von Sprache anwenden.
Ein letztes Prinzip hat mit Effizienz zu tun: Humor ist eine ganzheitliche Funktion des Bewusstseins und arbeitet damit sehr rasch. Wenn ich als Kind (oder später als Erwachsener) einen Text kontrolliere (etwa für eine wichtige Email, oder bei einer Schularbeit) und bei jedem Wort/Satz über Rechtschreib-/Grammatik-Regeln nachdenken muss, dauert es schlicht zu lange. Wenn ich jedoch bestimmte Wortbilder als gefühlt richtig im Kopf habe und mich daran gewöhnt habe, Absurditäten zu suchen (weil Humor ja auch etwas Lohnenswertes ist), so kann ich einen Text relativ rasch selbst durchkontrollieren und zumindest die offensichtlichsten Fehler ausmerzen.
Kritische Kommentare/Theorieeinwände (schulintern)
Nun ist mir gesagt worden, dass es wissenschaftliche Studien gäbe, die behaupten, ein Lesen von falsch geschriebenen Wörtern würde das Rechtschreibbewusstsein von Kindern eher vermindern. Plakativ gesagt müsste man Kindern dann allerdings verbieten, selbst zu schreiben, weil die Chance groß ist, dass sie dabei Fehler machen und dabei ihre eigenen – falsch geschriebenen Wörter – noch tiefer einprägen. Möglicherweise ist auch gemeint, dass falsch geschriebene Wörter nicht auf der Tafel stehen sollen oder in Büchern, weil Kinder jenen Quellen eine andere Autorität oder „Richtigkeit“ zuordnen – meiner bisherigen Erfahrung nach reicht es jedoch, klar zu benennen, dass es sich hierbei um fehlerhafte Sätze handelt. Diese unkommentiert an „autoritärer“ Stelle stehen zu lassen halte ich tatsächlich für nicht ideal, aber während des lustigen Fehlersuchens ist ja klar, dass Fehler zu finden sein werden (sonst gäbe es ja auch nichts zum „Suchen“)
Ich kenne nun natürlich den genauen Aufbau jener Studien nicht, gehe jedoch davon aus, dass die Messung von etwas wie einem Rechtschreibbewusstsein sehr schwer umzusetzen und damit auch die Chance steigt, wichtige Aspekte (wie etwa Prozesse, die im Zeitverlauf zuerst schlechter und dann besser werden) nicht gut messbar machen zu können und damit auszuklammern. Ich kann mir vorstellen, dass es durch eine Atmosphäre der Fehlertoleranz zu einem Mehr an Kreativität und damit vorübergehend auch zu einem Mehr an Fehlern kommen kann, weil Schüler schlichtweg mutiger werden, mit Sprache zu spielen. Anhand der Texte meiner Schüler war da doch auch eine gewaltige Entwicklung festzustellen (ein Schüler von mir stellte beispielsweise im Alter von 9 Jahren von sich aus eine „wissenschaftliche These“ über den Ursprung der Gravitation auf). Ich kann mir vorstellen, dass im Durchschnitt dadurch eine zeitweilige Erhöhung der Fehleranzahl eintreten kann, die sich dann mit der Zeit ins Negative verkehrt (also weniger Fehler gemacht werden), weil bereits mehr Spielraum in der Sprache „ausprobiert“ und bewertet worden ist. Nur richtige Schreibweisen anzubieten führt meines Erachtens eher zu einer Hemmung dieser sprachlichen Spiellust und damit zu einer zwar möglicherweise weitgehend richtigen, gleichzeitig jedoch in ihrer Vielfalt verarmten Sprache.
Die Hauptschwierigkeit einer Messung der Effizienz jener Methode liegt jedoch wohl in der Abhängigkeit von der Lehrerpersönlichkeit. Das lustige Fehlersuchen passt sehr gut zu meinem Charakter als Lehrer und funktioniert für mich wunderbar, wird aber nicht für jeden gleich gut funktionieren bzw. muss entsprechend an die eigene Leiterpersönlichkeit angepasst werden. Wer sich nicht sicher ist, eine fehlertolerante Atmosphäre in der Gruppe herstellen und halten zu können, kann damit wohl auch Schaden anrichten (etwa indem statt über den Fehler über den Autor des Fehlers gelacht und er damit herabgewürdigt wird) – hier eine Grundsatzentscheidung über die Effizienz der Methode unabhängig von den Fähigkeiten/Charaktereigenschaften des Lehrers zu treffen (die in diesem Fall schwerlich kategorisiert oder von formalen Aus- und Weiterbildungen abhängig gemacht werden können), halte ich für schwierig. Ich möchte mit diesem Artikel jedoch aufzeigen, aus welchen Prinzipien die Methode unter Anderem abgeleitet ist und welche Konsequenzen sie in der Anwendung durch mich hatte – und dass es möglich und durchaus konstruktiv sein kann, sie einzusetzen.
Konkrete Rückmeldungen/Erfahrungsberichte
Zahlreiche Eltern haben mir rückgemeldet, dass – gerade auch schwächere Schüler – seit Anfang des Schuljahres eine enorme Lust am Schreiben entwickelt haben, gerade auch weil sie keine Angst mehr haben mussten, Fehler zu machen, und auch anhand der Schülertexte wird ersichtlich, dass die Schreiblust steigt und die Anzahl der gemachten Fehler eher im Sinken begriffen ist. Auch die Gesamtatmosphäre in der Klasse habe sich laut Rückmeldungen der Eltern deutlich verbessert, und auch wenn das lustige Fehlersuchen an sich sicher nicht alleine dafür verantwortlich war, dürften die dahinterstehenden Prinzipien der Akzeptanz des Fehlerhaften/Anderen ihren Teil dazu beigetragen haben.
Niklas