In Homage an einen großartigen Mann, der mir für einige Monate Ratgeber und Mentor war und der vor einigen Wochen leider verstorben ist, möchte ich hier eines seiner Grundprinzipien beschreiben. Das Prinzip ist an sich sehr simpel und besagt lediglich, dass es üblicherweise schlauer ist, eine Aufgabe an genau eine Person zu delegieren als geteilte Verantwortungen zuzulassen oder gar aktiv zu fördern.
Wer wie ich gerade mit anderen Menschen in einer Wohngemeinschaft zusammenlebt, kann den Effekt der geteilten Verantwortung ganz gut im Alltag beobachten, etwa bei der Aufgabe, die gemeinsamen Wohnbereiche in Ordnung bzw. sauber zu halten. Solange die Verantwortung für diese gemeinsame Aufgabe im Ganzen als gemeinsame Aufgabe gesehen wird, wirken einige Aspekte, die es unwahrscheinlicher machen, dass ein für alle Beteiligten adäquater Grad an Sauberkeit aufrechterhalten wird. Dadurch, dass niemand konkret zur Verantwortung gezogen werden kann (man hätte es ja auch selbst machen können, oder war doch der Dritte dran?) erhöht sich die Chance, aus Bequemlichkeit Aufgaben nicht zu Ende zu führen oder gar nicht erst anzugehen. Zudem ist die Definition des gewünschten Ergebnisses üblicherweise schwammig bis sehr unterschiedlich (verschiedene Vorstellungen von „Sauberkeit“ etwa). Und schließlich, da die jeweiligen Aufgaben plural verteilt sind und nicht klar ist, wer was wann gemacht oder nicht gemacht hat, entstehen vor allem in größeren Gruppen rasch Neid-Konflikte im Stile von „du machst ja nie etwas“.
Die gleichen Strukturen, die ich gerade in einer Wohngemeinschaft zum Thema Sauberkeit beschrieben habe, lassen sich auch auf Institutionen umlegen, wo die Effekte mit zunehmender Anzahl an Mitgliedern eher exponentiell denn linear zunehmen. Das kann in Einzelfällen auch gut funktionieren (etwa an einer freien Schule, an der ich gearbeitet habe), und in gewissem Sinne kann eine plurale Verantwortung auch dazu führen, dass sich die Träger der Verantwortung besser mit der Gruppe identifizieren können bzw. flexibler auf Anforderungen reagieren können. Nur: in 3 von 4 Schulen, an denen ich gearbeitet habe, waren die Konsequenzen pluraler Verantwortung eher destruktiv denn konstruktiv.
Einige Vorteile singulärer Verantwortung
Ich glaube, was passiert, wenn man die singuläre Verantwortung als Prinzip einsetzt, ist, dass man tendenziell sachlicher miteinander umgeht, was die Beziehungsebene (auf der bei aller Sachlichkeit immer noch soziale Konflikte ausgetragen werden) massiv entlasten kann. Wenn für alle Beteiligten klar ist, wer für welche Aufgaben verantwortlich ist, kann man sich dann, wenn Aufgaben nicht gemäß den Vorgaben erledigt wurden, die konfliktreiche Suche des oder der Schuldigen ersparen und mehr Zeit darauf verwenden, konstruktive Lösungen zu erarbeiten.
Ein angenehmer Nebeneffekt singulärer Verantwortung ist auch, dass es dazu notwendig ist, sich genauer zu überlegen, was überhaupt für Aufgaben zu erledigen sind. Wenn es eine geteilte Verantwortung von 3 Personen gibt, einen gemeinsamen Wohnraum sauber zu halten, oder von 6 Personen, einen Schulbetrieb aufrechtzuerhalten, dann steigen die Chancen, dass einzelne Beteiligte gar keine Ahnung davon haben, was in der Gesamtheit der Aufgaben zusammen überhaupt zu tun ist. Wenn jeder das beiträgt, was er für notwendig hält, kann das am Ende bedeuten, dass die gemeinsame Aufgabe zufriedenstellend gelöst wird, aber auch, dass Teil-Aufgaben unnötigerweise mehrfach oder andere auch gar nicht erledigt werden.
Funktioniert die Beziehungsebene im Team (noch) gut, werden einzelne Beteiligte die Nachlässigkeit der anderen ausgleichen. Sind es Ausnahmefälle, kann das gutgehen, handelt es sich um regelmäßige Nachlässigkeiten, steigt die Chance, dass die Beziehungsebene dadurch belastet wird, ohne die Konflikte sachlich anzusprechen, bis die gemeinsamen Aufgaben nur noch minderwertig oder gar nicht mehr erledigt werden.
Ist das nicht fürchterlich kompliziert und unflexibel?
Singuläre Verantwortungen zuzuweisen bedeutet nicht, dass es plötzlich unmöglich wird, sich gegenseitig zu helfen oder Aufgaben spontan zu tauschen. Es bedeutet lediglich, dass es am Ende eines Kontrollzeitraums klar ist, wer bei Nichterfüllung seiner Verantwortungen dafür verantwortlich ist, konstruktive Lösungen zu finden. Wenn ich also dafür verantwortlich bin, in meiner Wohnung den Müll rauszutragen, darf das gerne auch einer meiner Mitbewohner für mich erledigen, wenn er das möchte und ohnehin gerade an den Müllcontainern vorbeigeht. Aber wenn am Ende des Kontrollzeitraums (z.B. in einer – fiktiven – WG-Besprechung) erkannt wird, dass der Müll nicht ordnungsgemäß entsorgt wurde und dies meine singuläre Verantwortung ist, sind nicht meine Mitbewohner verantwortlich.
Das Interessante an dem Prinzip der singulären Verantwortung ist, dass es üblicherweise von den meisten Menschen nicht sehr gerne gesehen wird. Ich kann nur vermuten, dass für viele Menschen die Vorstellung furchterregend erscheint, sich nicht auf Umstände oder faule Kollegen herausreden zu können sondern unumgänglich zu ihren Fehlern stehen zu müssen. Was dabei bei aller verständlicher Furcht leider etwas unter den Tisch fällt, ist der Vorteil singulärer Verantwortung: sie ist – und zwar auf einer Sachebene, wenn sie gut definiert ist – begrenzt. Unter dem Prinzip der singulären Verantwortung kann ich Aufgaben abschließen und damit mein Bewusstsein entlasten.
Vielleicht wird es auch deswegen nicht gerne gesehen oder angewendet, weil ein Zu-meinen-Fehlern-stehen offenbar in vielen Institutionen als No-Go angesehen wird, das mit allen Mitteln verhindert werden muss. Es braucht dazu einen gewissen geschützten und gehaltenen Raum, und dieser fehlt wohl an vielen Stellen. Diesen geschützten Raum zu schaffen, dazu braucht es nicht zwingend zusätzliche Ressourcen (auch wenn es offensichtlich Menschen gibt, die dazu besser befähigt sind als andere, und eine Ausbildung, etwa zum Supervisor, erscheint mir nicht das bestimmende Kriterium dafür zu sein), wohl aber eine gehörige Portion Mut. Aber mit ein wenig Durchhaltevermögen kann der mittel- bis langfristige Gewinn an Effizienz und Arbeitszufriedenheit aller Beteiligten enorm sein.
Niklas