Schulautonomie für mehr soziale Gerechtigkeit

(Letztes Update von Niklas Baumgärtler am 26.5.2021)

In letzter Zeit lese ich immer wieder von der Forderung, Schulen mehr Autonomie zukommen zu lassen, und den Bedenken, die Direktoren würden dann zu viel Macht bekommen, wenn sie nicht mehr so stark vom Staat kontrolliert werden. Wie lässt sich dieses Problem elegant lösen? Dazu etwas weiter unten ein Vorschlag…

Heute habe ich den Film “We won’t back down” gefunden. Es ist ein Film, basierend auf einer wahren Geschichte, über den verzweifelten Kampf einer alleinerziehenden Mutter für eine bessere Schulbildung ihres Kindes bis hin zu dem Plan, die Schule gemeinsam mit den anderen Eltern und Lehrern zu unternehmen.

Die anfängliche Situation der Machtlosigkeit der Mutter, die Situation ihres Kindes zu verbessern, zeigt sich auch in der Hoffnungslosigkeit der Tochter, die sich immer weiter eine ihr eigene Welt zurück zieht. Die Lehrerin kümmert das Schicksal ihrer Schüler nicht weiter. Der Schulleiter blockiert einen Klassenwechsel ebenso, und das Geld der bereits in zwei Jobs involvierten Mutter reicht bei weitem nicht für eine der besseren Privatschulen.

In ihrer Verzweiflung stolpert die Mutter über eine Schule, die sich durch Nutzen eines Gesetzes mit den Eltern und Lehrern selbstständig gemacht hat. Doch es werden nur 40 Plätze für 440 Anwärter angeboten, die verlost werden, und ihre Tochter ist nicht unter den Glücklichen. Im Verlauf des Filmes verfolgt die Hauptprotagonistin des Filmes die Idee weiter, eine ähnliche Übernahme der Schule auch zu bewerkstelligen. In einer Lehrerin findet sie eine Verbündete, und gemeinsam fangen sie an, zu organisieren und Unterstützer zu sammeln.

Doch das Kollegium zeigt sich im Grossen und Ganzen nicht sehr hilfreich, meint, alles, was sie tun wollten, sei lehren, und der Rest gehe sie nicht viel an. Und als auch die Kollegen sich politisieren, weil sie entdecken, dass die derzeitige Führung negative Auswirkungen auf ihre Lehre hat, fängt plötzlich die Lehrer-Gewerkschaft an, die Initiatoren persönlich anzugreifen, um die Autonomisierung zu verhindern, bis hin zur Drohung, die mitunterstützenden Lehrer bei anderen Schulen anzuschwärzen, falls der Versuch scheitere und sie eine andere Anstellung brauchen sollten.

In dem Film kämpft die Lehrergewerkschaft für eine möglichst hohe Relation Gehalt/Arbeitszeit und belässt es dabei, aber welche Gewerkschaft oder politische Vertretung haben die Kinder?

Später übernehmen einige verantwortungsbewusste Lehrer gemeinsam mit den Eltern das Szepter und treten für das Wohlergehen der Kinder ein. Aus den ausführenden Kräften (Unter-richtern) werden politische Akteure (Bunter-richter), die für eine bessere Schule kämpfen und sich mit diesem Kampf selbst identifizieren. Sie wissen etwa schon lange, dass ihre längere Anwesenheit in der Schule positive Auswirkungen auf die Kinder haben kann. Aber nun kämpfen sie für das Recht, auch nach Ende der vertraglich vereinbarten Unterrichtszeit noch bleiben zu können und geben sich nicht mehr mit den Vorgaben der Vorgesetzten zufrieden. Sie kritisieren ihre Führung, den Direktor, und, als sich dieser nicht bewegt und die initiierende Lehrerin feuert, kämpfen sie für eine andere Führung.

Eine Frage, die der Film weitgehend schuldig bleibt, ist die langfristige Organisation dieser Führung. Ein blosser Austausch des Direktors für jemanden anderen birgt die Gefahr, dass dieser jemand sich in eine ähnliche Richtung entwickelt wie der bisherige, mittlerweile unerwünschte Direktor.

Interessant wäre hierzu ein Experiment in der Methodik der Zapatisten-Bewegung in Mexico, die statt Anführer so genannte „Subcommandantes“ unterhält, Entscheidungsträger, die machtpolitisch unter den Personen stehen, über die sie entscheiden. Sie können jederzeit abgesetzt werden, wenn die Masse unzufrieden mit Entscheidungen ist. Kein „Subkommandante“ kann etwa einen Lehrer gegen den Willen der Kollegen feuern, der bei allen Kollegen beliebt ist, ohne selbst abgesetzt zu werden (was die Entscheidung unter Umständen sogar rückgängig machen kann).

Zudem werden sie in sehr kurzen Zeitabständen durch andere Gruppenmitglieder ausgetauscht. Niemand ist lange Anführer, also sind nur Anführer begünstigende Entscheidungen unwahrscheinlich. Ein solcher „Direktor“ würde auch nicht mehr verdienen als andere Pädagogen. Vor allem aber kann eine solche Lösung dabei helfen, die augenscheinliche Trennung von Lehren und politischer Mitgestaltung zu überwinden, wie sie im eingangs erwähnten Film problematisiert wird.

Ich denke, der Film zeigt eine Wahrheit, dass es in vielen Schulen Lehrer gibt, die vielleicht besser nicht Lehrer geworden wären, sei es, weil sie nur auf längere Ferien aus sind oder was auch immer. Für diese Lehrer wird es langfristig Sinn machen, ihnen zu helfen, andere Beschäftigungen zu finden, ohne allzu viel schlecht zu machen. Die meisten von ihnen werden wahrscheinlich spüren, dass sie eigentlich am falschen Ort sind, aber aus diversen individuellen Gründen (Hypothek, Perspektivenlosigkeit, …) nicht gehandelt haben.

Aber vor allem gibt es die unglaublich vielen motivierten Pädagogen, die bereits heute fantastische Arbeit leisten, auf ihre ganz individuelle Art und Weise, und diese Pädagogen sollten meiner Meinung nach viel mehr Möglichkeiten zur Mitgestaltung ihrer eigenen Schule, ihres eigenen Arbeitsplatzes bekommen. Eine von Lehrern (und eventuell Eltern) kollektiv übernommene Schulführung könnte hier Bewegung ermöglichen.

Während an Privatschulen hier aus ihrer Gründungsgeschichte bereits ein relativ hoher Grad an Autonomie besteht und die soziale Kontrolle durch die zahlenden Eltern gewährleistet wird, haben ärmere Familien in den staatlichen Schulen weit weniger Chancen zur Mitbestimmung und vor allem weniger Alternativen. Menschen, die aufgrund finanzieller Umstände (die ebenso selten selbst verschuldet sind) ohnehin schon weniger zu sagen haben, könnten durch eine Erweiterung der Schulautonomie und einer kollektiven Schulführung durch „Subcommandantes“ vielleicht mehr zu einer guten Bildung ihrer Kinder und zu einer Chancenannäherung (eine reelle Chancengleichheit halte ich für unrealistisch) beitragen.

Niklas

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Niklas Baumgärtler

Niklas Baumgärtler interessiert sich für die Kunst der Begeisterung und macht gerne Wechsel- und Hebelwirkungen in Sozialen Systemen sicht- und erlebbar. Mehr über Niklas Baumgärtler...

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