Pragmatisch durch die Corona-Krise 1: Szenarien- und Strategien-Bildung

Wie Entscheidungen treffen wenn wegen der Corona-Krise alles unsicher ist? Die Technik der Szenarien hilft beim Finden nachhaltig richtiger Entscheidungen.
(Letztes Update von Niklas Baumgärtler am 26.5.2021)

Pragmatisch durch die Corona-Krise 1 - Szenarien- und Strategien-BildungIst da noch Licht am Ende des Tunnes? Ich denke ja.

Es ist der 26.März 2019, einen Tag vor meinem 31. Geburtstag, und die Welt scheint stillzustehen. Die Schulen haben geschlossen, die offiziellen Corona-Infektionszahlen schießen weltweit in die Höhe, und allgemeine Verunsicherung scheint sich immer mehr breit zu machen. Worauf noch Entscheidungen bauen, wenn immer weniger gesicherte Informationen über die Zukunft zur Verfügung stehen?

1. Der erste Schockzustand

Ich selbst habe die Meldungen zur Corona-Epidemie (damals sprach man ja noch von einer Epidemie) bis vor Kurzem zwar mit Interesse verfolgt, aber sie vorerst als etwas was mich nicht betreffen würde abgetan. Auch in den Jahren davor war ja von der Vogelgrippe, SARS und so weiter die Rede gewesen, wirklich spürbare Auswirkungen hatten all diese Epidemien aber nicht auf mein Leben gehabt. Und so war ich davon ausgegangen, dass es wohl auch diesmal wieder so sein würde.

1.1 Hamsterkäufe? In Österreich?!

Als dann von Hamsterkäufen in Supermärkten (das mit dem Klopapier hat sich ja derart zu einem Meme entwickelt dass Leute jedes Video und jedes Bild lustig finden solange nur irgendwo ein Klopapier vorkommt) berichtet wurde, fand ich es etwas übertrieben.

Aber als die Berichte immer mehr wurden wurde mir klar dass es auch ohne ursprünglichen tatsächlichen Engpass aufgrund der Corona-Geschichte zu einem sozialpsychologisch erzeugtem wahrgenommenen Engpass kommen könnte, der so viele Leute dazu bringen könnte alles leerzukaufen dass es einer selbsterfüllenden Prophezeiung gleichkam.

Also kauften auch wir ein – möglichst so dass wir das ganze Zeug wenn wir es nicht brauchen würden auch zum Camping verwenden würden können.

1.2 Als die Schulen geschlossen wurden

Als es dann hieß die Schulen würden womöglich geschlossen werden änderte sich das Ganze für mich schlagartig – als selbstständiger basiert der größere Teil meines Einkommens auf Schulen (Lehrerfortbildungen, Mein-Körper-gehört-mir und andere). Sperren diese wirklich zu, ist der Großteil meines Einkommens weg.

Auch die Termine an den Schulen an denen ich mein TestFirst-Projekt in den Schulkonferenzen vorstellen durfte würden wohl vorerst nicht mehr stattfinden.

Der Mobbing-Workshop für Schulen, den ich vorhatte vorzubereiten – wer würde ihn buchen wollen? Und vor allem: Wer würde ihn bezahlen können?

1.3 Die Phase der Verweigerung

Um niemanden im familiären Umfeld zu beunruhigen verbrachte ich noch einige Tage in einer Art Verweigerung der Situation – vielleicht würde es ja doch nicht so schlimm werden… dann wurde rasch klar, dass die Ausgangsbeschränkungen sich eher verschärfen würden. Für eine Woche nur? Das ergab überhaupt keinen Sinn, bei der angenommenen Inkubationszeit des Virus!

Die einzig logische Erklärung war eine strategische Krisen-Kommunikation seitens der Regierung, um a) Panik zu vermeiden und b) die Bevölkerung „scheibchenweise“ an die neue Situation zu gewöhnen. Das verhieß nichts Gutes.

Dass die Schulen nach Ostern wieder aufsperren würden war wohl Wunschdenken.

2. Raus aus dem Nebel der Unsicherheit: Szenarien entwickeln

Würde ich heute mit Sicherheit wissen dass die Schulen nach Ostern wieder aufsperren würden, könnte ich mein Handeln darauf einstellen. Würden die Schulen erst Anfang Mai wieder aufsperren, wäre es für mich schlechter, aber auch darauf könnte ich mich einstellen. Erst im September wäre es noch schlechter, aber auch damit könnte ich einen Umgang finden.

Am schwierigsten an der Situation jedoch ist die Unsicherheit darüber, was denn nun realistisch sein wird, weil es die Aufgabe erschwert auszuwählen was jetzt Sinn macht und was nicht.

Was dagegen hilft ist die Technik der Szenarien. Man stellt sich einfach verschiedene Varianten einer möglichen Zukunft vor, und überlegt sich was in welchem Szenario die besten Entscheidungen sind. Zum Beispiel in meinem Fall:

2.1 Szenario A: Die Schulen öffnen nach Ostern wieder

In diesem Fall wird mein berufliches Leben relativ unkompliziert weitergehen. Meine finanziellen Reserven reichen für die Überbrückung, im Idealfall hilft der Härtefallfonds noch ein wenig aus. Was ich nebenbei dazuverdiene hilft, aber an sich besteht kein Stress.

Schulen werden mit der bisherigen Order gut durchkommen dass die Schüler nur wiederholen sollen und kein neuer Stoff gemacht werden muss. Der Schulbetrieb wird im Großen und Ganzen wieder zu dem zurückgehen wie er vorher war.

Die Wirtschaft wird in eine ordentliche Rezension schlittern. Arbeit/Aufträge zu bekommen wird schwierig, aber nicht unmöglich. Im Schulbereich, im Sozialbereich, überall dort wo gesellschaftliche „Luxus-Leistungen“ (Sozial-Leistungen für jene die nicht oder nur wenig selbst ins System einzahlen) finanziert werden, werden Mittel gekürzt werden, um die Ausfälle bei der wirtschaftlichen Basis (Industrie, …) auszugleichen.

Workshops, Fortbildungen etc. zu entwickeln kann Sinn machen, aber für eine gewisse Zeit wird bei Firmen und Institutionen wenig Geld dafür da sein.

2.2 Szenario B: Die Schulen öffnen erst Mitte Mai wieder

Die Zeit danach wird erheblich stressiger, weil mehr Termine von Mein-Körper-gehört-mir in kürzester Zeit „reingepackt“ werden müssen… Ein Teil meines Einkommens mit dem ich für dieses Semester gerechnet habe wird sich in den Herbst verschieben. Aber es geht sich finanziell trotzdem aus, wenn auch knapper.

Mehr Lehrer und Lehrerinnen werden sich Gedanken darüber machen wie sie Schülern in der Corona-Zeit und dem damit erzwungenen Heimunterricht auch neue Stoffgebiete beibringen können. Trotzdem wird der Schulbetrieb nach der Krise im Allgemeinen wieder so aussehen wie vorher. Lehrer sind jedoch womöglich recht froh über Ideen wie sie ihren Schülern den neuen Stoff effizienter vermitteln können – einfach weil weniger Zeit dafür übrig bleibt wie gewohnt.

Die Wirtschaft wird in eine noch größere Rezension schlittern. Arbeit zu bekommen wird noch schwieriger. Im Sozialbereich, bei allen nicht für die Masse lebensnotwendigen Bereichen wie Fortbildungen im Bereich Persönlichkeitsentwicklung (bzw. alles was nicht direkt messbare Resultate der Investitionen bringt), wird es zu großen Kürzungen kommen, die für längere Zeit wirksam bleiben werden. Jetzt etwas in der Art zu entwickeln rechnet sich erst nach längerer Zeit, wenn überhaupt.

2.3 Szenario C: Die Schulen öffnen erst im Herbst wieder

Ich brauche mit ziemlicher Sicherheit alternative Einnahmequellen die nicht vom Schulbetrieb abhängig sind. Es macht Sinn mich jetzt damit zu beschäftigen wie diese aussehen können und jetzt damit anzufangen diese aufzubauen.

Schulen werden sich allgemein Gedanken darüber machen wie sie im Krisenfall besser aufgestellt sein können. Effizientem Lernen wird viel mehr Interesse geschenkt werden, auch Online-Lösungen werden viel mehr im normalen Alltag integriert sein als jetzt. Gleichzeitig wird ein erhöhtes Bedürfnis nach konstruktiven Beschäftigungsmöglichkeiten für Kinder, Jugendliche und in weiterer Folge auch Erwachsene entstehen, die nicht (nur) online stattfinden.

Ganze Wirtschaftsbereiche könnten einbrechen, und neue Bereiche aus der Asche entstehen. Das gesellschaftliche Leben könnte von Grund auf anders aussehen als jetzt. Wer jetzt schon eine Vision entwickeln kann wie dieses aussehen könnte und im richtigen Moment mit dem richtigen Produkt am richtigen Ort ist, hat die besten Voraussetzungen, etwas richtig Großes zu erschaffen. Die großen Player an den Märkten sind gerade verwundbarer als sonst, und es ist leichter „unter dem Radar“ zu agieren, eine Anhängerschaft aufzubauen, einfach weil das Öffentliche gerade sehr zurückgedrängt ist.

2.4 Szenarien-abhängige und -unabhängige Entscheidungen

Wer aufmerksam mitgelesen und mitgedacht hat, dem wird aufgefallen sein, dass manche Einschätzungen in allen drei Szenarien ähnlich waren, andere wiederum hängen vom Szenario ab bzw. stellen eine Art von „Verlauf“ nach dem Muster „je später die Schulen öffnen, desto eher wird es so werden“ dar.

Szenarien-abhängige Entscheidungen sind Entscheidungen, bei denen man je nach Entwicklung sein Verhalten Tag für Tag an die aktuelle Entwicklung anpassen wird. Z.B. wäre ich vor einer Woche noch nicht davon ausgegangen dass die Schulen auch nach Ostern noch zuhaben werden (auch aufgrund von Wunschdenken meinerseits). Jetzt jedoch schätze ich es eher so ein, dass die Schulen wohl erst sehr spät in diesem Semester oder sogar wirklich erst im Herbst wieder öffnen werden. Wer gut darin ist sich rasch auf neue Verhältnisse einzustellen ist gerade klar im Vorteil gegenüber jemandem der Veränderungen lange nicht wahrhaben möchte.

Szenarien-unabhängige Entscheidungen sind noch hilfreicher: z.B. ist für mich in allen drei Szenarien klar, dass es für eine Entwicklung eines Mobbing-Workshops an Schulen gerade schlicht kein guter Zeitpunkt ist. Selbst wenn Schulen den gerne buchen würden: Sie würden gerade kein Geld dafür haben, und sowohl der Staat als auch private Firmen werden in den nächsten Monaten kaum Geld in die Hand nehmen um Schulen da zu unterstützen. Egal wie sich die Corona-Krise noch weiterentwickeln wird: Diese Idee kann ich abschreiben. Und das ist auch gut so. Warum?

Weil eine jede verworfene Idee Platz schafft für neue, der Situation besser angepasste Ideen. Eine wirklich gute Idee braucht den leeren Raum, in dem sie geboren werden, in dem sie heranreifen kann zu einer konkreten Handlung.

Falls daher einer von euch gerade nicht weiß was er machen soll weil man ja nicht weiß wie es weitergehen wird: Probiert doch mal verschiedene Szenarien aus und überlegt was ihr in Fall A, B oder C machen würdet. Vielleicht hilft das ja die Optionen einzugrenzen die wirklich Sinn machen?

Was ist sinnvoll egal wie sich die Corona-Krise weiterentwickeln wird? Was hängt von bestimmten Faktoren ab? Habe ich (teilweise) Kontrolle über diese Faktoren? Habe ich gesicherte Informationen über diese Faktoren, oder/und wie gut kann ich sie zumindest einschätzen?

Die 1.000.000-€-Frage dabei ist: Was wird die Welt in den nächsten Monaten und Jahren brauchen? Sie wird weiter Klopapier und Mehl und Wasser und Strom brauchen, aber was noch? Was kann noch kaum jemand sehen? Was kann kaum jemand sehen und kaum jemand so gut umsetzen wie du? Wäre das nicht ein Bereich in dem es so richtig Sinn machen könnte sich da reinzusteigern gerade?

2.5 Was das für mich heißt

Die Schulen werden wohl noch länger zu haben. Das wird einerseits das Bedürfnis nach langfristiger konstruktiver Beschäftigung der Schüler zuhause steigern, andererseits das Bedürfnis nach effizientem Lernen das mit möglichst wenig Zeitaufwand zu nachhaltigen und nachweisbaren Lern-Ergebnissen führt.

Zweiteres wird meinem TestFirst-Projekt entgegenkommen, weil es genau das erreichen will, es macht also echt Sinn daran weiterzuarbeiten. Wenn es eine Version davon gibt die nicht nur für Schulen sondern hauptsächlich für Eltern und Haus-Unterricht gedacht ist, dann ist dafür wohl gerade eine sehr gute Zeit weil auch echter Bedarf da ist.

Außerdem ist es in Zeiten des Chaos oft besonders wichtig dass es Menschen gibt die einen klaren Kopf bewahren und neben all dem Niedergang der alten Strukturen auch aufzeigen was es in solchen Situationen zu entdecken gibt: noch nie dagewesene Möglichkeiten. Man muss sie nur im Nebel der Unsicherheiten erahnen und ergreifen.

Daher werde ich mich in nächster Zeit so gut es geht darauf konzentrieren. Infos dazu gibt‘s –wenn alles gut geht – in den nächsten Tagen/Wochen. Dann auch gerne wieder weiterleiten und teilen 🙂

Bis dahin: Bleibt gesund, bleibt optimistisch, wir brauchen gerade Menschen die Ruhe bewahren und ohne in Panik zu verfallen die nachhaltig richtigen Entscheidungen treffen. Wir schaffen das.

Niklas

Portrait Niklas Baumgärtler

Niklas Baumgärtler

Niklas Baumgärtler interessiert sich für die Kunst der Begeisterung und macht gerne Wechsel- und Hebelwirkungen in Sozialen Systemen sicht- und erlebbar. Mehr über Niklas Baumgärtler...

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