Wenn ich andere Menschen frage, ob sie nicht Lust haben, hier über diesen Blog einige ihrer Gedanken oder Erfahrungen zu veröffentlichen, winken sie meistens ab. Einige wenige haben ohnehin schon ihre eigenen Plattformen, die meisten jedoch variieren irgendwo zwischen „Habe Angst, meine Meinung öffentlich zu sagen“, „Das interessiert ja ohnehin niemanden“ und, wohl am häufigsten, „Meine Erfahrungen sind es nicht wert“. Vor allem letztere Antwort, die Einschätzung, dass die eigene pädagogische Erfahrung und das eigene pädagogische Weltbild ohnehin wertlos seien, unterscheidet sich von meinen Erfahrungen und meinem Weltbild derart, dass ich mir manchmal die Frage stelle, wie es wohl zu diesen unterschiedlichen Ansichten gekommen sein könnte.
Dabei geht es ja nicht nur darum, weitere Autoren für diesen Blog zu gewinnen (auch wenn ich mich darüber natürlich freuen würde), sondern auch um grundlegendere Konsequenzen für den pädagogischen Alltag. Irgendwann ergeben sich für einen jeden Pädagogen Konfliktsituationen, in denen seine Arbeitsweise in Frage gestellt wird: von Eltern, Schülern, Kollegen, Vorgesetzten oder in manchen Fällen sogar der größeren Öffentlichkeit. Bei aller Offenheit gegenüber konstruktiver Kritik halte ich es für sehr wichtig, seine Überzeugungen auch gegen Widerstände – dabei immer auf konstruktive Art – darlegen und im Notfall durchsetzen zu können. Ich bin der Überzeugung, dass man als Mensch authentisch zu und für etwas stehen muss, wenn man beabsichtigt, Kindern ein Vorbild sein zu wollen.
Selbstbewusstsein durch Erfahrung
Es mag viele verschiedene Quellen für pädagogisches Selbstbewusstsein geben, für mich selbst handelt es sich mit Sicherheit hauptsächlich um Erfahrung, sowohl eigene als auch die Erfahrung anderer, die sie freundlicherweise der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt haben. In all meinen Aufgaben in der Vorbereitung jugendlicher Konfirmanden auf ihre Konfirmation, in der Mit-Führung eines Jugendkreises, als Betreuer in Kinderlagern, als Nachhilfelehrer, als „normaler“ Lehrer und nicht zuletzt als Schüler habe ich gewisse Erfahrungen mit den Konsequenzen einiger Handlungen für andere gemacht. Zusammen mit den Erfahrungen anderer, die sie mir in Gesprächen, Büchern und anderen Quellen eröffnet haben, ergibt sich ein relativ stimmiges Bild von möglichen Handlungen, die mir als Pädagogen zur Verfügung stehen, und ihren möglichen Konsequenzen. Je nachdem, was ich nun zu erreichen wünsche, kann ich anhand dieser Erfahrung nun auswählen, welche Mittel ich dazu am besten einsetzen könnte.
Selbstbewusstsein durch den Mut, Fehler zu machen
Was uns Pädagogen an der Hochschule eingebläut wurde, den Kindern mitzugeben, den Mut zum Fehler, gilt umso mehr für uns Pädagogen selbst, auch wenn dies dann an derselben Hochschule nicht so gern gehört wird. Viele der für mich lohnendsten Erfahrungen gewann ich aus Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen, die ich getroffen habe, oft wohl auch aus einem auch damals schon etwas übersteigerten Selbstbewusstsein. Diese Fehlentscheidungen halfen mir unter anderem über einen viel zu radikalen Freiheitsbegriff hinweg, der gar nicht so gut zu meiner Persönlichkeit passte, wie ich mir das wohl gewünscht hätte, und mir eher Angst als Mut machte.
Der enorme Vorteil, Fehler zu machen, liegt darin, Erfahrungen mit unerwünschten Konsequenzen zu machen, was sehr hilfreich sein kann, Entscheidungen zu begründen. Es hat ein anderes Gewicht in einer Diskussion, wenn man sich auf Erfahrungen berufen kann anstatt mit Ängsten zu argumentieren. In manchen Fällen führen vermeintliche Fehler auch zu verblüffenden Entdeckungen. So gab ich während eines Spiels in einem Kinderlager Kindern den Auftrag, eine Unterkunft im Wald zu suchen (wir spielten eine Indianergeschichte nach) und hatte vergessen, ihnen zu sagen, dass wir das gemeinsam machen sollten, um uns nicht zu verlieren. Nachdem alle in verschiedene Richtungen davonstoben und nach einem Moment, indem ich das Gefühl hatte, völlig die Kontrolle über die Situation zu verlieren, kamen die Grüppchen allesamt zurück und erzählten, was sie gefunden hatten. Auch wenn ich die Situation auch heute noch für potentiell gefährlich halte und nicht gerne wiederholen würde – ich habe gelernt, dass Kinder oft erheblich selbstständiger sein können, als ich es ihnen zutrauen würde.
Selbstbewusstsein durch den Mut, etwas anders zu machen
In den meisten Schulen sind Pädagogen wohl mit der Situation konfrontiert, dass es eine Gruppe von Pädagogen gibt, die in einigen Punkten nicht einer Meinung sind, was pädagogische Fragen betrifft. Dies lässt sich einerseits dadurch lösen, dass ein jeder seine eigene Schule gründet, um ungestört arbeiten zu können (wie es etwas ein Falko Peschel auch erfolgreich getan hat). Andere passen sich eben dem Schulleitbild an. Dies vermeidet Konflikte, kann jedoch die Entwicklung des pädagogischen Selbstbewusstseins hemmen. Eine andere Alternative könnte es sein, das eigene Selbstbewusstsein durch das Verfolgen einer persönlichen Didaktik zu stärken, selbst wenn sie nicht zur Gänze der offiziellen Schuldidaktik entspricht.
Dies bedeutet auf der positiven Seite, dass sich dabei ein Selbstbewusstsein aufbauen kann, das auch bei einem Schulwechsel oder bei Kritik eine gewisse Standhaftigkeit verleiht. Auf der vermeintlich negativen Seite kann dies bedeuten, dass man sich weitere Angriffsflächen schaffen kann, wenn plötzlich die Kritik durch Kollegen und Vorgesetzte hinzukommt beziehungsweise der Schutz durch ebendiese bei Kritik von außen entfällt, weil sie ebenso anderer Meinung sind als man selbst. „Vermeintlich“ deswegen, weil es die Notwendigkeit schafft, die eigenen pädagogischen Weltbilder weiterzuentwickeln, aber auch abzusichern, um sie aufrechterhalten zu können. Wenn diese Notwendigkeiten in Taten umgesetzt werden, kann dies für die Entwicklung des pädagogischen Selbstbewusstseins durchaus förderlich sein.
Ich hatte das Glück, jahrelang als Nachhilfelehrer von der Institution, in der ich arbeitete, relativ freie Hand bei der Wahl meiner Arbeitsweise zu haben, solange die Ergebnisse (verbesserte Noten) stimmig waren. Dies ermöglichte es mir, von der sonst üblichen Druck-Schiene völlig abzugehen und meine eigenen Erfahrungen mit meiner persönlichen Didaktik zu machen. Wenn sich hin und wieder Elterngespräche ankündigten, war dies auch eine gute Übung, meine Didaktik zu erklären und zu argumentieren, warum ich arbeitete, wie ich arbeitete. Was uns zum letzten Punkt bringt.
Selbstbewusstsein, durch die Fähigkeit, das eigene Handeln zu argumentieren
Auch hier dürfte ich im Nachhinein betrachtet Glück gehabt haben. Ich wuchs in einer Familie auf, in der das Argumentieren zum inoffiziellen Machtinstrument wurde. Selbst als Jüngling konnte man so einiges erreichen, wenn man es gut genug argumentieren konnte. Auch wenn dies oft zu Frust führte – als junger Mensch ist es schwer, Erwachsene mit Argumenten zu „besiegen“ – und zusätzlich wohl ein für ein gemütliches Familienleben eher bedrohliches Siegen-oder-besiegt-werden-Szenario schuf: ich habe aus dieser familiären Notwendigkeit heraus gelernt, mein Verhalten, Vorstellungen und Wünsche auf Anfrage stets argumentieren zu können.
Dieser bei mir mittlerweile fast automatisierte Prozess führt heute nicht nur dazu, dass mich auch Misserfolge und negative oder nicht sonderlich konstruktive Kritik so leicht von meinem Weg abbringen. Gleichzeitig sorgt er auch dafür, dass ich für gute Argumente eines Gesprächspartners offen bleibe, weil mir die Erfahrung gezeigt hat, dass mein heutiges Weltbild aus der Inklusion all dieser Ansichten und Weltbilder zu einem immer komplexeren Ganzen besteht und diese Inklusion hoffentlich auch weiterhin zu einer ständigen Weiterentwicklung führen wird.
Eine Gefahr, vor der ich meine geschätzten Leser dabei aus leidlicher Erfahrung dabei warnen möchte, ist, nur noch auf gut ausformulierte Argumente Wert zu legen. In meiner Blindheit gegenüber der Tatsache, dass nicht jeder das Ausargumentieren von Konflikten von Kind auf gelernt hat und dementsprechend alles immer in Argumente verpacken kann, habe ich immer wieder wichtige Ansichten und Perspektiven anderer nicht wahrgenommen – und die Konsequenzen meiner Blindheit kosten dürfen. Gut argumentieren zu können, kann helfen, ein pädagogisches Selbstbewusstsein zu entwickeln, doch sehr gut argumentieren zu können, kann auch zu einer gewissen Überheblichkeit führen, der ich mich wohl des Öfteren schuldig gemacht habe. Ähnlich wie Fragen von Kinder nicht immer verbal geäußert werden, werden auch gute Argumente nicht immer verbal oder auch nur ruhig oder konstruktiv geäußert. Dies muss nicht bedeuten, dass sie nicht wichtig sein können.
Eine verträumte Zukunftsvision
Ob diese Welt oder zumindest unsere Schulen tatsächlich bessere Orte wären, würden die Pädagogen mehr Selbstbewusstsein in ihrer Arbeit hätten? Ich glaube, sagen zu können: ja. Zumindest als Schüler hatte ich stets mehr Respekt vor den Lehrern, die zu ihren Ansichten (wie absurd sie auch sein mochten) standen als vor denjenigen, die vielleicht vorgaben, gute oder nette Lehrer zu sein, aber bei denen man spürte, dass es sie Überwindung kostete.
Am meisten Respekt hatte ich etwa an der höheren Schule) vor meinem Mathematiklehrer und einem Programmierlehrer. Dem ersten, weil er knallhart seine Anforderungen auf Universitäts-Level einforderte und auch in Kauf nahm, dass wir eine jede Schularbeit wiederholen mussten und wir alle zusammen in all den fünf Jahren nur auf nicht mehr als drei Jahresnoten über einem „Genügend“ kamen. Trotzdem haben wir ihn geliebt, weil er zu 100% authentisch war. Der Programmierlehrer hatte einige neu an der Schule eingeführte Stoffgebiete zugeteilt bekommen, von denen er selbst keine Ahnung hatte. Anstatt uns also etwas vorzugaukeln, meinte er nur, er selbst hätte keine Ahnung, er würde uns helfen, wo er konnte und sich zuhause selbst noch einarbeiten, ansonsten sollten wir probieren, was wir gemeinsam zusammenbrächten. Wir haben in diesem Fach wohl mehr gelernt als in allen anderen Programmierfächern zusammen. Und der Lehrer war für mich ein Held, weil er einer der wenig ehrlichen Lehrer in meiner Schülerlaufbahn war, denen ich begegnen durfte.
Eine der Fragen, die mich dabei noch weiter beschäftigt, ist es, wie es möglich sein könnte, viele Lehrer mit pädagogischen Selbstbewusstsein, aber verschiedenen pädagogischen Einstellungen an einer Schule konstruktiv miteinander arbeiten zu lassen, ohne dass es zu unnötigen Konflikten zwischen ihnen kommen muss – also von vornherein auf ein System zu schätzen, dass die Entwicklung dieses pädagogischen Selbstbewusstseins fördert. Ich will nichts versprechen, was ich dann nicht halten kann, aber ich hoffe, euch da in naher Zukunft einige spannende Dinge berichten zu können…
Niklas