Manche von euch wissen es vielleicht bereits: man hat mir eine grosse Chance gegeben, all das, was ich mir durch meine bisherigen Erfahrungen an Konzepten und Hypothesen zusammengebaut habe, auch praktisch anzuwenden – ich bin seit einigen Tagen Lehrer an einer der jüngsten Alternativschulen in Oberösterreich.
Möglicherweise erinnert ihr euch noch an den Artikel zur radikalen Ehrlichkeit, in dem ich beschrieben habe, dass ich die Ansicht vertrete, dass sich radikale Ehrlichkeit, auch wenn sie im Augenblick für einen selbst negative Konsequenzen haben kann, langfristig auszahlt (ich verzichtete auf einen interessanten Arbeitsplatz, weil die Anforderung, mindestens drei bis fünf Jahre dort zu bleiben, mit meinen Plänen, unseren Verschwindibus im Frühjahr oder spätestens im Sommer wieder richtig auszunutzen, schwer vereinbar schien). Am selben Tag noch fand ich über die Sozialplattform die Ausschreibung, die mich zur heutigen Schule führte.
Welchen Wert hat Geld?
Einige Details sind noch nicht geklärt, weil die betreffenden Personen letzte Woche erkrankten, aber ich werde vermutlich nur einen Bruchteil dessen verdienen, was ein durchschnittlicher VS-Lehrer verdient, es wird gerade reichen, um monatlich mit all meinen Kosten halbwegs über die Runden zu kommen (wir sprechen von deutlich unter 1000 Euro). Der Grund ist, dass es sich um eine Privatschule handelt, die in keinster Weise von der öffentlichen Hand mitunterstützt wird, sich aber trotzdem weigert, die monatlichen Gebühren in die üblichen Höhen (um die 300 Euro) zu treiben, die viele Eltern von vornherein schwer zu zahlen vermögen. Ein Anliegen, das sich zwar ebenso auf mein Gehalt schlägt, ich aber mit ganzem Herzen unterstützen kann.
Ohnehin stellt sich mir bei näherer Betrachtung die durchaus legitime Frage nach der Priorität des Gehalts im Vergleich zu der Art der Arbeit, die dafür geleistet werden soll. Natürlich werden wir uns den Idealfall wünschen, in dem wir tun, was wir für sinnvoll halten, uns Freude macht und auch noch gut entlohnt wird. Aber vor die Entscheidung gestellt, sich zwischen einem gutem Gehalt und einer Tätigkeit, die subjektiven Sinn und Freude erzeugt, fällt die Entscheidung für mich klar für das sinnvolle Tun aus, solange gewisse Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wohnung dabei gesichert sind.
Wenn ich in einer Woche mit 154 Stunden im Durchschnitt 7 Stunden/Tag schlafe, bleiben 105 wache Stunden, bei einem 40-Stunden-Job plus Anfahrtszeiten kommen wir schnell auf etwa die Hälfte der wachen Zeit in der Woche, die mit Tätigkeiten ausgefüllt werden, die einen Freude oder Leid bereiten können. Kein noch so freudebringender Gegenstand, den ich mir für freudlos erarbeitetes Geld kaufen könnte, fällt mir ein, der mir diesen Löwenanteil an subjektiv sinn- oder freudloser Zeit ersetzen könnte. Wenn ich meine Arbeit als sinnvoll erlebe, arbeite ich gerne auch noch abends oder an Wochenenden, um sie für alle Beteiligten noch sinnvoller werden zu lassen.
Welchen Wert hat das Bunterrichten?
Die Arbeit an jener Schule hat für mich neben dem, dass ich etwas zum Erfolg der Schule beitragen kann, auch noch den Wert, dass ich mich und meine Bildungsvorstellungen hier sehr frei austesten kann. Die Hierarchieebenen sind sehr flach, die Kommunikation ist manchmal hart, aber ehrlich, klar und nicht verletzend. Nächste Woche werden alle zusammen versuchen, eine meiner Ideen auch praktisch umzusetzen, worauf ich mich bereits freue. Natürlich hat ein jeder hier bestimmte Vorstellungen, wie eine perfekte Schule aussehen sollte, aber es ist ein offener, partizipativer Prozess aller Beteiligten, der auch viel auf den tatsächlichen Erfahrungen im Schulalltag basiert und weniger auf pseudo-wissenschaftlichen Erkenntnissen, die nichts mehr mit den tatsächlichen Umständen zu tun haben.
Ein Delegieren
Da ich nun bis 2. Dezember meine Abschlussarbeit für die pädagogische Hochschule abzugeben gedenke und auch mit der Arbeit in der Schule sehr eingespannt bin, kann es sein, dass bis Anfang Dezember hier von meiner Seite eher weniger kommen wird, weil ich schlicht oft bis in die Nacht mit anderen mir wichtigen Dingen beschäftigt bin – vielleicht möchte ja jemand von euch die Lücke ein wenig füllen und seine Erfahrungen hier veröffentlichen, schickt dazu einfach eine Email mit eurem Artikel an bunterrichten@gmail.com
Euer Niklas