Im Gespräch mit Falko Peschel

(Letztes Update von Niklas Baumgärtler am 26.5.2021)

Nachdem mir ein Freund bereits jahrelang ständig von Falko Peschel vorschwärmt und ihn in seiner Bachelorarbeit auch ständig zitiert, war ich doch mittlerweile relativ neugierig darauf, was dieser Mensch wohl zu sagen hatte. Während der Planung meiner Reiseroute war mir aufgefallen, dass die Schule, die Falko leitet, direkt zwischen zwei anderen Schulen, die ich ohnehin besuchen wollte, lag, also schrieb ich ihn einfach an, ob ich nicht am Weg vorbeikommen könne. Er brachte noch den Einwand, dass es ein wenig Quatsch sei, eine Schule ohne Kinder besuchen zu wollen (wobei er auch irgendwie Recht hatte), aber mich interessierte vor allem er als Mensch selbst, der sich (wohl oft gegen Widerstände) eine Schule aufgebaut hatte, von der er überzeugt war.

Vieles, was wir sprachen, hat mich zum Nachdenken gebracht, und die Früchte dieses Nachdenkens werden wohl noch eine Weile dauern, bis sie tatsächlich reif sind. Manches, was ich hier schreibe, ist wohl auch meine eigene Interpretation von Dingen, die Falko selbst nie so gesagt oder gemeint hat, in diesen Fällen sei es mir verziehen – ich rekonstruiere das Gespräch gerade aus meinen notwendigerweise unvollständigen Aufzeichnungen.

Kinder dürfen lernen

Einer der interessanteren Aussagen traf Falko darüber, dass in vielen Schulen eine unheilvolle Unterscheidung zwischen Lernen und Spiel getroffen werde, in der das Lernen als etwas Schwieriges und Lästiges, das Spiel als etwas Schönes und Erstrebenswertes dargestellt werde. Nachdem den Kindern erklärt wird, dass sie sich frei entscheiden dürfen, ob sie (überzeichnet dargestellt) etwas Lästiges arbeiten oder etwas Spannendes spielen wollen, sind die Erzieher dann kurzfristig erfreut, dass sich die Kinder für das Spiel entscheiden, und langfristig frustriert, dass sie sich kaum für das Lernen entscheiden. Dann werden Spiel- und Lernphasen oftmals künstlich getrennt, um beides zu ermöglichen. Laut Falko liegt das Problem jedoch viel mehr in dem Brauch, dem Lernen nicht den intrinsischen Wert und die Freude zu lassen, das es ermöglicht. Kinder im Schulalter wollen ja an die Schule, um zu lernen.

Authentizität

Dies hängt eng mit dem Problem der Authentizität zusammen. Eltern und Betreuer wissen (im Regelfall), dass es gewisse öffentliche Prüfungsvorschreibungen gibt, seien es externe Prüfungen oder interne. Ein häufiger Weg (den ich auch auf meiner Schulbesuchstour gesehen habe) ist es, auf eine Art von Scheinfreiheit zu bauen, die den Kindern Wahlfreiheiten überlässt, aber dann, falls Schüler sich nicht an die (zumindest in den Hinterköpfen der Betreuer/Eltern existierenden) Entwicklungs-„Vorschriften“ halten, doch mit ein wenig Druck zu kommen. Fairer wäre es da wohl, von vornherein zu sagen, dass es diese und jene Vorgaben von außen gibt (die Prüfungen dabei extern abhalten zu lassen, ist die logische Konsequenz und teilweise auch gelebte Praxis davon) und diese auch als solche transparent zu machen.

Freiheit und Erwartungen

Freie Schulen stehen stets vor der Schwierigkeit, das Verhältnis von Freiheit und Erwartungen, das sie in Regelschulen als zu sehr in Richtung strikter Erwartungen ausgeprägt empfinden, neu zu definieren. Es ist ein Verhältnis, von dem offensichtlich die Mehrheit der Eltern und Betreuer sehr voneinander abweichende Vorstellungen haben. Es ist wohl diese Frage, deren Beantwortung über den Fortbestand vieler freien Schulen bestimmt.

Da es wohl nie eine allgemeingültige Antwort geben wird, ist eine Beantwortung der Frage nach dem Grad der Freiheit ein Balanceakt, der Mut zur Klarheit erfordert. Die Frage „Darf ich das?“ und die sich daraus ableitende Frage „Darf ich ihm/ihr das durchgehen lassen?“, die sich den Eltern und Betreuern unweigerlich stellen, offen zu lassen, erscheint hier viel schädlicher als sich mutig für ein Ja oder ein Nein zu entscheiden. War die Entscheidung falsch getroffen, ist es möglich, sich zu entschuldigen. Wird gar keine Entscheidung gefällt, aus Angst, falsch zu handeln, kann dies alle Beteiligten entmachten und immer mehr lähmen sowie frustrieren.

Leistungsvergleiche mit anderen Schulen

Falko misst sich an dem Anspruch, dass seine Schule, auch wenn sie anders arbeitet als eine Regelschule und viele Fähigkeiten schulen mag, die an einer Regelschule gar nicht beachtet werden, in denjenigen Aspekten, der sich eine Regelschule rühmt, zumindest gleich gut mit ihr abschneidet. Wenn ein Kind in einer offenen Schule zwar sehr gute soziale Umgangsformen erlernt hat, aber in der achten Klasse noch immer nicht bis zehn rechnen kann, dann wird ein Vergleich mit einer Regelschule (auch für Eltern potentieller neuer Mitschüler) immer schwieriger. Ein Ziel sollte es demnach schon sein, dass die Leistungen der Schüler einer Alternativschule nicht hinter jenen der Regelschule zurückfallen.

Jahrgangsübergreifende Klassen

Interessant sind auch seine Ansichten zu jahrgangsübergreifenden Klassen. Er stimmt zwar zu, dass es Vorteile habe, etwa dass sich mit der Zeit ein relativ fixer „zivilisatorischer Stamm“ bildet, der eine relativ gefestigte Kultur bietet, in die neue Schüler eintreten können. Die ansonsten fast unabwendbare Chaos-Phase beim Zusammenfinden einer Gemeinschaft wird so abgemildert oder sogar ganz verhindert. Er weist jedoch auch darauf hin, dass es den Nachteil hat, dass sich die Interessensgebiete der Schüler dann teilweise kaum noch überschneiden, so dass Erstklässler oft nicht interessiert, was Viertklässler fesselt. Noch schwieriger sei es jedoch für die Viertklässler, das „Gestammel“ der Erstklässler bei den ersten Präsentationen auszuhalten.

Pädagogik des leeren Blattes

Da ich kein einziges seiner Bücher gelesen habe, wird das Folgende vielleicht für manche Viel-Leser kaum interessant sein, für mich war es ziemlich spannend. In dieser Grundschule wird auf so ziemlich alle fertigen Materialien und Lehrbücher verzichtet. Alles, was verfügbar ist, sind leere Blätter, Rohmaterialien und die Werkzeuge, aus diesen etwas Sinnvolles zu machen. Dies hat zum einen den Effekt, die Kreativität ganz anders zu fordern und ermöglicht auch eine ganz andere Differenzierung als fertig vorgeplante Lehrgänge. Zum anderen sorgt es dafür, dass die Räumlichkeiten ungewöhnlich aufgeräumt und angenehm leer wirken. Während in anderen Schulen alle Kästen fast platzen vor Montessori-Material und Ähnlichem, herrscht hier ein völlig anderes Bild. Auch finanziell macht dieses Vorgehen bei den Preisen von „echtem“ Montessori-Material und Ähnlichem ziemlich Sinn.

Interessant fand ich auch, dass er meinte, auf diese Art und Weise ist an jedem Produkt der Schüler sein aktueller Lernstand in vielen Bereichen ablesbar und mit dem Lernstand vergangener Produkte vergleichbar, ohne besondere Prüfungen notwendig zu machen.

Entschlackte Lehrpläne

Da sich alle möglichen Lehrer und Eltern immer wieder darüber aufregen, wie vollgestopft doch die vielen Lehrpläne seien, und wie wenig Platz für andere interessante Dinge sie doch lassen würden, rät er, sich einfach anzusehen, was von den Lehrplänen a) geprüft und b) sinnvoll sei, und den Rest einfach wegzulassen. Was sinnvoll sei und wie diese Ziele erreicht werden können, könne mit den Schülern in eigens dafür abgehaltenen (individuellen) Lernkonferenzen abgesprochen werden. Was geprüft werde, ist dann relevant, wenn Prüfungen gemacht werden wollen.

Empathische Demokratie

Im Nachhinein besonders interessant, weil ich eben mit einer Pädagogin einer anderen Schule über die Möglichkeit, eine „soziokratische“ Schule zu entwickeln, gesprochen habe, ist seine Erzählung, dass die Schüler seiner Schule ein sehr gutes Gespür dafür entwickelt haben, wie es den anderen Schülern geht, und versuchen, die Bedürfnisse der anderen in ihre Entscheidungen einzubinden – gelebte Solidarität also. Auch gibt es in der Schule laut Falko keinerlei Gewalt oder Aggressionen. Natürlich habe ich es nicht selbst beobachten können (er hatte schon Recht, dass es „Quatsch ist, eine Schule ohne Kinder zu besuchen“) – aber warum sollte er lügen?

Abschließendes

Ich war ehrlich überrascht, wie unkompliziert es möglich war, Falko zu besuchen, vor allem, obwohl ich doch aufgrund meiner Tour kein sonderlich gut einkalkulierbarer Gast war (ich sollte ihn vorher anrufen, erreichte ihn jedoch nicht und war dann einfach vor seiner Tür). Ich wurde sogar spontan zum Abendessen eingeladen, und all das, obwohl die Liste an Hospitanten anscheinend für die nächsten eineinhalb Jahre reicht. Falls du das liest, Falco, danke nochmal für alles, und ich hoffe, wir sehen uns irgendwann mal wieder.

Niklas

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Niklas Baumgärtler

Niklas Baumgärtler interessiert sich für die Kunst der Begeisterung und macht gerne Wechsel- und Hebelwirkungen in Sozialen Systemen sicht- und erlebbar. Mehr über Niklas Baumgärtler...

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