Nachdem ich meinen PC nach zahlreichen Abstürzen wieder zum Laufen gebracht hatte, reizte mich der Versuch, mich einer alten Sucht erneut zu stellen: Warcraft 3, ein uraltes Computerspiel, genauer gesagt einem von einem Fan erstellten Level, bekannt geworden unter dem Namen DOTA. Zu gewissen Zeiten hatte ich am Tag bis zu 6, 7 Stunden damit verbracht, mich in diesem Spiel mit anderen Mitspielern weltweit zu messen, bis es mir selbst zu viel wurde und ich erkannte, dass dies ein Ende haben musste.
„Ich kann jederzeit aufhören“
Ich entfernte das Spiel von meiner Festplatte, installierte es jedoch einige Zeit später neu, da ich ja nun sicher „geheilt“ sei und damit einem verantwortungsvollen Konsum nichts mehr im Wege stehe. Nach kurzer Zeit war ich wieder mehrere Stunden täglich am Spielen und beschloss, die CD dieses Mal im Studentenheim zu verschenken. Mehrere Monate war das Problem damit gelöst, bis ich eines Tages besagte CD am Tisch der Gemeinschaftsküche wieder fand. Derjenige, der sie genommen hatte, dürfte ausgezogen sein und wollte sie wohl anderen zugänglich machen. Nach einem erneuten schweren Rückfall zerstörte ich die CD und warf sie in den Müll. Einige Monate später borgte mir ein Freund das Spiel netterweise – der nächste Rückfall. Erst, als mein PC anfing, ständig Bluescreens zu produzieren, wenn ich das Spiel spielen wollte, schaffte ich es, ganz wegzukommen.
Das war vor einigen Jahren. In der Zwischenzeit ist viel passiert, bin ich mit Sicherheit innerlich gefestigter, innerlich gewachsen. Wenig sprach also dagegen, es aus dieser veränderten Perspektive noch einmal auszuprobieren. Ständige Abstürze bewahren mich heute davor, wieder in meine alten Muster zu verfallen, aber der Reiz ist immer noch stark zu spüren. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob es daran liegt, dass kein Spiel aufgrund der Abstürze je zu Ende spielbar ist und ein, zwei zu Ende spielbare Spiele reichen würden, mich endgültig zu befreien, oder ob es die Sache schlimmer machen würde, aber ich denke, dass meine Erfahrungen vielleicht für den einen oder anderen von euch, der Suchtverhalten (eigenes oder fremdes) besser verstehen möchte, interessant sein mögen.
Harmlose Anfänge
Meine Einstiegsdroge, wenn man so will, war vermutlich ein Kartenspiel, genauer gesagt Magic: The Gathering, ein hochkomplexes Spiel, in dem man aus Unmengen von Karten nach bestimmten Regeln sogenannte Decks zusammenbaut und damit eine fast unendliche Menge an potentiellen Spielsituationen zur Verfügung hat. Innerhalb einiger Jahre gab ich mit Sicherheit (umgerechnet) mehrere Tausend Euro für diese Karten aus. Auf der positiven Seite lässt sich vermerken, dieses Spiel und die dazu verfügbaren Bücher vermutlich einen sehr grossen positiven Einfluss auf meine heutigen Englisch-Kenntnisse hatten. Zudem ist das dazu nötige Denken in komplexen Systemen eine Fähigkeit, die ich heute oft einsetze und mir vor allem beim Lernen sehr hilfreich ist. Heute spielt in meinem Bekanntenkreis kaum mehr jemand, und der innere Drang, ständig an dem perfekten Deck zu feilen, ist kaum mehr zu spüren.
Meine Sucht nach Warcraft 3 wurde erst akut, als eine weitere Version des Levels DOTA veröffentlicht wurde, in der es möglich ist, zu Spielbeginn seine Spielfigur selbst zusammenzustellen, ähnlich wie es mit den Decks bei Magic möglich gewesen war. Es war dasselbe Muster, nur kostete es mich plötzlich nichts mehr ausser meiner Zeit. Für jemanden wie mich, der mit seiner Zeit kaum etwas Sinnvolles anzufangen wusste und sich oft einsam fühlte, stellte dieses Spiel eine einfache Lösung dar. Man spielte zu fünft gegen fünf, oft auch über Programme wie Teamspeak sprachlich verbunden, und die Zeit, die quälende, sinnentleerte Zeit, verging dabei wie im Fluge.
Kampf dem Unsinn
Auch heute merke ich, wie der Drang, doch zu spielen, irgendwie mit dem Gefühl, meine Zeit gerade sinnvoll zu verbringen, zusammenhängen muss. Nichtstun löst den Wunsch aus, doch irgendetwas zu tun, und es gibt irgendwo in meinem Gehirn einen bereits viel begangenen Weg, der – oft unbewusst – gewählt wird. Es ist nicht immer eine bewusste Entscheidung, nach einem Spiel das nächste zu beginnen, ähnlich wie es nicht immer eine bewusste Entscheidung sein wird, wenn sich jemand, der auf einen Bus wartet, eine Zigarette anzündet. Es ist automatisiertes Verhalten.
Mir ist bewusst, dass ich mich hier in einer vergleichsweise angenehmen Situation befinde, weil meine Sucht meines Wissens keine körperliche Komponente hat, und dass meine Erfahrungen vielleicht für andere Fälle nur eingeschränkt relevant sein werden. Wenn meine Hypothese stimmen sollte, dass es sich bei einer solchen Sucht um eine Art unbewusste Automatikreaktion handelt, dann würde ein Gegenmittel die bewusste Entscheidung sein. In meinem Fall könnte dies bedeuten, nach jedem Spiel aufzustehen, ein Glas Wasser zu trinken, durchzuatmen und bewusst zu entscheiden, was ich in meinem aktuellen Gefühlszustand gerne tun möchte, wobei es sich nicht um eine Spielen-oder-nicht-spielen-Entscheidung handelt, sondern um ein freies Auswählen der mir in diesem Moment bewussten Möglichkeiten.
Nachdem mein Computer zwei Mal einen Absturz hatte (danke dafür, PC), tat ich genau das, und kam zu dem Schluss, dass ich eigentlich gerade gerne diesen Artikel schreiben möchte, egal ob in meinem Gehirn aus irgendeinem Grund eine Autobahn zwischen dem Reiz „Sitze am PC“ und „Spiele Warcraft 3“ zu bestehen scheint. Diese Neigung erwuchs aus meiner Geschichte und wird wohl ein Teil meines Lebens bleiben, eine Tatsache, an der ich wenig ändern kann, für die ich mich auch nicht zu schämen gedenke. Aber mittlerweile hat sich mein potentielles Handlungsfeld erheblich erweitert, und diese alte Krücke – etwas Anderes war sie wohl nie – wird zunehmend obsolet.
Freunde nehmen ihren Platz ein, geben Halt, und Träume schenken meinem Leben Sinn.
Niklas