Nach einigen turbulenten Wochen sitze ich nun am Küchentisch meiner neuen Wohnung in Kiel, Deutschland. Während meine Finger über die Tastatur meines Laptops huschen, fühlt es sich fast so an, als würde sich mein Körper noch gar nicht ganz hier befinden. Innerhalb von knapp einer Woche häuften sich so viele Verabschiedungen und Einladungen und danach Termine und Unsicherheiten, dass ich offensichtlich nie die Zeit gefunden habe, zu realisieren, was ich denn eigentlich hier gerade tue und welche Auswirkungen das auf mich haben mag. Seit Tagen habe ich nun schon Kopfschmerzen (was auch an der Hitze liegen mag, wir haben heute wieder 34°C hier), und heute, am Ende eines Teamsitzungs-Marathons, kommen nun endlich die physischen, vor allem aber auch die psychischen Anstrengungen der letzten Wochen zum Vorschein.
Aus irgendeinem Grund scheine ich eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Begeisterung zu haben, die mich körperliche und geistige Strapazen auch über längere Zeiträume aushalten lässt, solange die Begeisterung oder die Notwendigkeiten der aktuellen Aufgabe anhalten. Irgendwann jedoch bricht es dann doch durch: der Preis, den wohl ein jeder Mensch zu zahlen hat, der seine Zelte in der Heimat abbricht und sich aufmacht, sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen, um sich fern von seinem einstigen Zuhause seiner Aufgabe zu widmen. Es ist eine Entwurzelung in mehrfacher Hinsicht – von der bekannten Umgebung, bekannten Tagesabläufen, aber auch bekannten Bindungen. Auch wenn Facebook und andere Kommunikationsmedien heute den Austausch von Informationen auch über große Distanzen ermöglichen, sie können den direkten Kontakt zwischen fühlenden Menschen für mich nicht ersetzen.
In der Zwischenzeit ist eine meiner Mitbewohnerinnen nach Hause gekommen, und mir geht es bedeutend besser. Obwohl ich sie erst seit drei Tagen kenne, gibt sie mir sofort ein Gefühl von Geborgenheit, fast von Heimat. Im Zustand der Entwurzelung greift man wohl zu jedem Grashalm, hinter dem man eine Wurzel vermutet. Ich bin froh, zumindest meine Gitarre bei mir zu wissen, zumindest einige Aktivitäten, die mich bisher als Person ausmachten, weiterführen zu können.
Eine Freundin fragte mich vor einigen Wochen, warum ich nicht den einfachen Weg wählen würde und mir in Linz eine Wohnung suche und irgendetwas arbeite, bis ich in der Nähe einen Job als Lehrer finden würde. Das hätte mir wohl all die Turbulenzen und die innere Zerrissenheit, mit der ich gerade zu kämpfen habe, erspart. Aber obwohl diese Veränderung meinem Körper und meiner Psyche wohl viel zu schnell ging und damit ihren Tribut zollt, erscheint sie mir doch selbst in diesem Zustand als sinnvoll.
In den Teamsitzungen der letzten Tage mit dem Team der Schule bekam ich immer mehr das Gefühl, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, hier arbeiten zu wollen. Nicht nur treffe ich hier auf sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, die sich auf brillante Weise untereinander ergänzen können, es herrscht auch eine große Offenheit und Bereitschaft, einige meiner Ideen und Visionen auch tatsächlich auszuprobieren, vor – also exakt die Konstellation, in der ich glaube, am meisten beitragen zu können, dass diese Schule ein für alle Beteiligten sehr wertvoller Ort werden wird. Mit dem Umzug in einen anderen Ort und in ein größeres Schulgebäude sind selbst architektonisch viele Möglichkeiten offen, und ich hoffe, hier bis spätestens nach dem Schulstart im Herbst wieder zahlreiche Erfahrungen aus der Praxis mit euch teilen zu können.
Niklas