Wie finanziere ich eine Organisation, die durch ihre Arbeit einen positiven Einfluss auf ihre Umgebung haben soll, längerfristig? Im Grunde existieren dabei grob betrachtet vier Möglichkeiten, die frei kombiniert werden können:
A: Die Abhängigkeit von Kleinspendern
Wer regelmäßig in einer größeren Stadt umherläuft, wird wahrscheinlich schon einmal von einem jungen Mann oder einen jungen Frau angesprochen worden sein, der/die „Spenden-Abos“ für verschiedene Organisationen anpreist. Ich persönlich finde diese Menschen zwar meist persönlich sympathisch, in ihrer Funktion aber ziemlich nervig, unter anderem weil ihr gehäuftes Auftreten in den letzten Jahren zunehmend dazu geführt hat, dass spontane Gespräche unter Fremden mittlerweile mit einer gewissen Skepsis begegnet werden. Gleichzeitig ist mir auch klar, dass sich eine Organisation mit Mitarbeitern auf Dauer nicht sinnvoll ohne Modelle wie jene Spenden-Abos finanzieren kann, weil die verfügbaren Mittel sonst überhaupt nicht planbar sind. Ich kann schwer gute Mitarbeiter halten ,wenn von Monat zu Monat nicht klar ist, ob ich sie bezahlen kann.
Die Folge dieser im Grunde konstanten prekären Lage ist jedoch, dass es für eine Organisation notwendig ist, potentielle Spender mit gut aussehenden Bildern und Zahlen zu überzeugen, was oft dem eigentlichen Ziel der Organisation entgegenläuft. Unlängst wurde mir erzählt, einer Organisation zur Betreuung von Waisenkindern seien die Waisen ausgegangen, und die Verantwortlichen hätten Familien mit vielen Kindern Kinder abgekauft und zu Waisen erklärt, um genug Waisen zu haben um die Weiterbezahlung ihrer Mitarbeiter rechtfertigen zu können. Eine Frau erzählte mir unlängst (und dabei handelt es sich nachprüfbar um eine Tatsache, vor einigen Jahren war der Fall auch in der Zeitung), in Irland seien bis vor relativ kurzer Zeit uneheliche Kinder der Mutter weggenommen worden und in der Folge von einer kirchlichen Organisation für diese „Waisen“ betreut worden. Diese Kinder wurden heimlich an Familien aus den USA verkauft – um die Organisation zu finanzieren.
Vor allem in kleineren Organisationen ist es durch die prekäre finanzielle Lage nur sehr schwierig, Mitarbeiter zu finden und zu halten, die in dem was sie tun gut sind. Oder es handelt sich um Mitarbeiter, deren Wunsch Gutes zu tun erheblich größer ist als ihr Wunsch nach konstruktiven Bedingungen und angemessener Bezahlung, die klassischen selbstaufopfernden Mitarbeiter. Die Folge sind ein vorprogrammiertes Burnout, eine hohe Fluktuation und eine Organisation, die so in die Tätigkeit des Helfens an sich verliebt ist, dass sie unbeabsichtigt eine Abhängigkeit der zu Helfenden von der Organisation erzeugt, die langfristig betrachtet das ursprüngliche Problem oft unnötig aufrechterhält oder sogar noch verschlimmert.
B: Die Abhängigkeit von Großspendern
Ursprünglich wollte ich an dieser Stelle zwischen staatlichen/politischen Geldgebern und privaten unterscheiden, habe aber dann festgestellt, dass das Grundprinzip ähnlich genug ist, um es gemeinsam zu behandeln.
Ist eine Organisation von einem oder mehreren Großspendern finanziert, so ist zwar der bürokratische Aufwand erheblich geringer, aber statt von einer Durchschnittsmeinung einer Vielzahl an Spendern ist die Finanzierung der Organisation nun abhängig vom Urteil und damit auch den Interessen weniger Menschen. Abgesehen davon, dass kleine private Organisationen oft gar nicht den Zugang zu entsprechenden Netzwerken besitzen, ist eine langfristige Planung über 1-2 Jahre hinaus immer noch sehr schwierig. Die finanzielle Situation der Großspender mag sich ändern, deren politische Einstellungen oder Ambitionen, oder auch ihre realen Möglichkeiten (etwa wenn eine Partei eine Wahl verliert und die neuen Machthaber die Mittel einer Instanz nach ihren eigenen Vorstellungen umverteilen).
Unabhängig davon, ob es sich um viele Klein- oder Großspenden handelt, die direkte Abhängigkeit der Organisation bleibt bestehen. Damit macht sie sich leicht erpressbar oder zumindest beeinflussbar, und ist möglicherweise gezwungen, etwas zu tun, was der eigenen Einstellung oder dem erklärten Ziel der Organisation widerspricht.
C: Ich habe Eigenkapital oder Einkünfte aus anderen Quellen
Die Abhängigkeit der Organisation von äußeren indirekten Geldgebern ist dabei zwar auf den ersten Blick geringer, trotzdem entstehen dadurch potentiell schwierige Situationen. Ein statisches Eigenkapital abzuschöpfen ist (je nach Höhe des Eigenkapitals) nicht wirklich eine nachhaltige Lösung, und Einkünfte aus anderen Quellen splitten in den meisten Fällen die Aufmerksamkeit zwischen dem eigentlichen Zweck der Organisation und der zum Erhalt der Einkünfte aus anderen Quellen notwendigen Arbeit. Für so manchen mag es schwierig sein, die Prioritäten zwischen einer Herzensangelegenheit, für die man persönlich draufzahlt, und einer zusätzlichen Einkommensquelle zu jonglieren.
Ein Freund von mir hat dazu eine sehr interessante Lösung gefunden. Er ist selbstständig und verlangt einen leicht erhöhten Stundensatz etwa 10 Monate im Jahr, um in den restlichen zwei Monaten seinem Herzensprojekt nachgehen zu können, ohne sich Geldsorgen machen zu müssen. Vor einigen Monaten ist er ein Monat lang den Jakobsweg gewandert, um sich die innere Kraft für diesen Schritt zu holen, und laut seinen Erzählungen funktioniert das Prinzip bisher wunderbar.
D: Die Tätigkeit erzeugt aus sich selbst heraus direkt Gewinn
Hierbei handelt es sich um die klassische Form eines Unternehmens, bei dem die Kunden durch das Kaufen von Produkten oder Services das Unternehmen finanzieren. Ironischerweise halte ich dieses Modell mittlerweile für auf Dauer am besten geeignet, um a) fokussiert, b) unabhängig und c) nachhaltig arbeiten zu können.
Das Problem an diesem Ansatz ist ja üblicherweise, dass die Zielgruppen, an die sich Sozialprojekte klassischerweise wenden, oft finanziell nicht sonderlich gut ausgestattet ist, oder man – was bei freien Schulen oft der Fall ist – verhindern möchte, eine Organisation nur für Bessergestellte zu schaffen, und entsprechend seine Dienste und Produkte kostenlos bzw. zu einem (wirtschaftlich betrachtet) absurd geringen Preis anbietet (und damit nebenbei gerne noch unbeabsichtigt noch lokale Wirtschaftsstrukturen ruiniert).
Sich selbst für wertvoll erklären
Einer der wahrscheinlich schädlichsten Praktiken, die eine Organisation sich leisten kann, ihre eigenen Leistungen gegenüber ihrer Zielgruppe für minderwertig oder gar wertlos zu erklären. Ein schlauerer Ansatz wäre es möglicherweise, die eigenen Leistungen mit einem realistischen Wert darzustellen, auch wenn dies bedeutet, dass es für Teile der Zielgruppe nicht möglich sein mag, die Leistung direkt zu bezahlen. Sind diejenigen grundsätzlich interessiert an der Leistung der Organisation und fehlt es nur an den (finanziellen) Möglichkeiten, so kann eine indirekte Finanzierung für diese Personen sinnvoll sein, etwa über Spenden oder sonstige Einkünfte aus anderen Quellen.
Weil der Unterschied vielleicht nicht auf den ersten Blick erkenntlich ist, möchte ich ihn an dieser Stelle noch einmal hervorheben: die Menschen, um die es gehen soll, wollen von sich aus ein Produkt oder eine Leistung ein Anspruch nehmen, und ich helfe ihnen wo nötig über indirekte Finanzierung, ihre Schwierigkeiten auf dem Weg zu ihrem Wunsch zu überwinden, anstatt dass ich für sie bestimme, was „diese armen Menschen“ brauchen. Das bedeutet in der Folge auch, dass ein Problem, das real nicht mehr existieren müsste, auch aufhören darf zu existieren.
Ist ein solches Modell realistischerweise umzusetzen? Ich glaube ja, auch oder gerade weil es der gängigen Praxis in Teilen widerspricht. Ich freue mich auch über jegliche Kommentare zum Thema 🙂
Niklas