Vor ca. 5 Monaten schrieb ich hier über das Experiment Vertrauen: 1 Monat lang handeln, als ob das Vertrauen in den jeweils anderen zu 100% gerechtfertigt wäre. Als ob all die (auch negativen) Erfahrungen der Vergangenheit nun wirklich hinter uns liegen würden. Einen einzigen Monat lang, das schien… machbar.
Nach Ablauf des Monats wollten wir uns gegenseitig von unseren Erfahrungen erzählen, und gemeinsam entscheiden, ob wir das Experiment Vertrauen denn weiterführen wollten. Auch versprach ich einen Bericht.
Nun sind ~5 Monate vergangen, und der Bericht ließ auf sich warten. Zum Teil lag das an der Neu-Überarbeitung dieser Webseite von Grund auf, die nun alles zusammen etwa 4 Monate intensiver Arbeit verschlungen hat. Aber nicht nur. Nach dem ersten Monat des Experiment Vertrauens war rasch klar, dass wir es weiterführen wollten. Aber was würden die längerfristigen Auswirkungen sein? Und so schob ich die Veröffentlichung dieses Artikels immer weiter in die Zukunft, um die ganze Wahrheit herauszufinden.
In den letzten ca. 12 Monaten hat sich in meinem Leben viel verändert, auch schon bevor unser Experiment Vertrauen begann. Aber es wirkte – rückblickend betrachtet – dann noch zusätzlich wie eine Art Beschleuniger einer ohnehin anstehenden Entwicklung – einer, die ich mir nicht „ausgesucht“ habe im strategischen, planenden Sinn, aber einer, die sich sehr eng an das anlehnt, was ich mittlerweile für mich „Stimmigen Kontakt“ nenne. In Vertrauen auf die eigene Intuition, unterstützt vom Intellekt wo es sinn macht, das zu tun, was sich schlicht „richtig“ anfühlt.
Meine veränderte Lebenssituation macht es notwendig, meinen Bericht etwas abstrakter zu halten als ich es sonst gewohnt bin meine Artikel zu verfassen – einfach weil was ich schreibe nicht mehr nur mich selbst betrifft. Aber womöglich wird das was ich beschreiben will dadurch sogar eher noch klarer.
Eine massive Veränderung der letzten Monate lässt sich als „Verwurzelung“ beschreiben, das Akzeptieren der Möglichkeit einer Heimat als konkreten Ort. Auch aufgrund meiner häufigen Umzüge (auch über lange Distanzen wie Norddeutschland oder Brasilien) hatte sich für mich eine Vorstellung von einer „tragbaren Heimat“ etabliert, die das eigene Bedürfnis nach einem konkreten Ort verneinte, wenn nicht gar als etwas betrachtete, das zu überwinden sich die Aufgabe stellte.
Und doch war da immer wieder in meinem Leben so etwas wie die leise Sehnsucht nach einem Ort zu spüren gewesen, nach einer Verbindung die eben dann doch nicht „über-tragbar“ war, deren Verlust tatsächlich schmerzen würde. Aber welchem Ort, welchem Menschen diese Rolle zu-muten? Welche Kriterien anlegen? Mit welchen Sicherheitsvorkehrungen? Und war es denn überhaupt denkbar, dass eine solche Zu-Mutung sich nicht früher oder später rächen musste.
Das Experiment Vertrauen half uns, eine Antwort zu finden: Erlaube dir, zu erfahren, anstatt dich in Theoriekonstrukten zu verheddern. Und wenn es nur für einen Monat ist. Wenn ihr euch beide wohl fühlt miteinander, dann hängt eben noch einen Monat an.
Aber was ist mit langfristigeren Entscheidungen? Gemeinsamen Anschaffungen und Projekten mit viel längerer Laufzeit and Umsetzung und Konsequenzen? Auch hier: Im Kleinen erfahren dürfen, und sich „sehenden Vertrauens“ mehr und mehr zumuten.
Dies ist der Titel eines neuen Songs den ich vor einigen Monaten geschrieben habe. Er beschreibt zwei Menschen die sich gegenüberstehen und lernen sich aufeinander einzulassen indem sie sich an den Händen halten und versuchen sich genau in der richtigen Geschwindigkeit zurückzulassen, so dass keiner davon umfällt. Eine Art „bewegte Balance-Übung“, die ein gutes Gefühl nicht nur für sich selbst sondern auch für den anderen erfordert und die nicht immer einfach, bisweilen sogar verstörend erlebt wird (die Doppelbedeutung von „uneasy“ trifft es gut).
Und doch ermöglicht das Aufeinander-Einlassen auch eine Steigerung der „Reichweite“ beider, erhöht den Bewegungsspielraum, erweitert den Raum der Möglichkeiten – zum Preis des Risikos, ins Leere zu greifen, sich verloren zu haben, schlimm zu fallen. Aber sollte man aufgrund des Verletzungsrisikos denn aufhören zu tanzen? Oder sich nicht viel eher immer weiter im gemeinsamen Tanz zu üben? Aus dem Liedtext:
I sense you’re standing with me here
I sense you’re rooted somewhere else (in love)
I sense our branches overcoming each other
I sense something in us embrace
I sense a power rushing through me
I sense that you can feel it, too
No more barriers, no more fears for us
A dawn of wonder breaking through
As oak trees we’ll keep on growing
When we’ll stay in what gives strength
While we share of ourselves ever more outward
In uneasy balances we remain
Der Baum als Symbol bekam für mich in den letzten Monaten immer mehr an Bedeutung – nicht nur im Hinblick auf die Verwurzelung, sondern auch als Symbol für ein Ökosystem das zwar mit der Welt in Kontakt ist aber auch für sich betrachtet, gewissermaßen abgegrenzt existiert.
Bisher war ich gewissermaßen auch viel als „Einzelkämpfer“ unterwegs, in vergleichsweise loser Verbindung mit anderen – auch aufgrund schlechter Erfahrungen mit Gruppendynamiken. Nun freunde ich mich zunehmend mit der Rolle an, eine tragende Rolle in einem kleinen Ökosystem zu spielen. Eben wie ein großer Baum, auf dem sich allerhand andere Pflanzen und Tiere tummeln und wohlfühlen.
Ein interessanter Nebeneffekt: Ich mag plötzlich meinen Nachnamen. Vielleicht auch weil der Baum schon im Namen steckt, das Ganze ist für mich noch so neu dass ich es noch nicht ganz zuordnen kann.
Die Idee zum Experiment Vertrauen war wohl einer der besten die ich je hatte. Schon in den Monaten vor dem Experiment konnte ich mit Freude feststellen, dass ich offensichtlich in kürzester Zeit eine Riesen-Entwicklung durchmachte. Aber ab dem Zeitpunkt zu dem unser Experiment Vertrauen begann ging es richtig ab. Es half und hilft sehr dabei, wenn man etwas richtig Großes vorhat, und nicht vorhat, dieses Vorhaben alleine anzugehen wie sonst auch immer.
Ich kann es nur uneingeschränkt empfehlen.