In den ersten Tagen unserer Bus-Reise fanden wir heraus, dass wir ja auf dem Weg nach Prag beinahe ohne Umweg an Temelin vorbeifahren würden. Nachdem wir es im Atlas vergeblich gesucht hatten, trafen wir glücklicherweise zwei junge Frauen, die uns den Weg wiesen. Einem Besuch des Geländes des immer wieder in die Medien kommenden Atomkraftwerkes würde also nichts mehr im Wege stehen. Oder würde man das Gelände überhaupt betreten können? Immerhin würde eine Beschädigung der Anlagen wohl nicht ungefährlich sein… aber lest selbst:
Kein Krieg gegen keine Terroristen
Überraschenderweise kamen wir ohne jegliche Kontrollen bis zu einigen Metern entlang der Kühltürme heran, parkten auch nur einige Meter weit vom Gelände entfernt auf einem riesigen Parkplatz. Ein Zaun mit Sicherheitskameras schützte den Innenbereich vor ungebetenen Besuchern. Bei all der Sorge über terroristische Angriffe, die immer wieder die Runde machen, erscheint Temelin hier relativ locker. Hier braucht es kein Flugzeug, um Schaden zu verursachen. Vermutlich reicht eine in jedem der zahlreichen Bauhäuser hier erhältliche Leiter, um ins Innengelände zu kommen. Von einer Terrorismus-Gefahr scheint hier niemand auszugehen.
Schon einige Hundert Meter, bevor wir uns dem Gelände überhaupt näherten, machte sich bereits ein beklemmendes Gefühl in mir breit, das sich schwer beschreiben lässt. Als würde sich der gesamte Körper für eine blitzartige Flucht anspannen. Angeblich kennen dieses Gefühl auch andere Menschen, die sich in die Nähe der Reaktoren begeben haben, wobei es interessant wäre, ob es durch eine nicht bewusst wahrnehmbaren äusseren Einflussfaktor wie tatsächlich austretende Strahlung etwa oder doch nur durch den psychologischen Faktor der Unsicherheit ausgelöst wird.
Die Anlage selbst sah relativ verschlossen aus, obwohl uns eine Schülergruppe entgegenkam, aus mangelnden Tschechisch-Kenntnissen getrauten wir uns nicht, zu fragen, wie man hineinkam und wanderten stattdessen in Richtung einer Art Kapelle, an der wir im Vorbeifahren ein aufgebautes Zelt erblickt hatten. Die vermutete Protest-Info-Veranstaltung entpuppte sich als vom Betreiber veranstaltetes Kinderfest. Gerne hätte ich die Kinder gefragt, ob sie auch dieses beklemmende Gefühl in sich verspürten, wenn sie hier waren. Man sollte mehr Sprachen beherrschen.
Eine unbequeme Wahrheit
Wir betraten die Kapelle, die sich als eine Art Atomstrom-Museum herausstellte, in dem auf Tschechisch und zumindest teilweise Englisch und Deutsch Informationen zur Atomstrom-Erzeugung zu finden waren. Soweit ich es richtig verstanden habe, funktioniert es, einmal angestartet, wie eine Art Kettenreaktion, die bei gleichmässiger Zuführung neuer Brennstoffelemente einen Stoff in einen anderen verbraucht, dabei Wärme erzeugt und diese Wärme wird dann in Energie umgewandelt.
Muss ein AKW abgeschaltet werden, läuft diese Reaktion jedoch noch eine Weile weiter. Wird sie nicht durch Kühlsysteme abgekühlt, so können unerwünschte Reaktionen auftreten, die einem Austritt der radioaktiven Elemente führen können. Diese Kühlung ist bis über mehrere Jahre nötig, weil sich bereits stark abgekühlte Elemente wieder erhitzen können.
Als Argumente für die Atomkraft führte das Museum die Energieunabhängigkeit Tschechiens von anderen Nationen an, weil etwa im Vergleich zu Kohle sehr viel weniger Brennelemente nötig seien. Interessant ist, dass die weltweiten Vorkommen auf einen Nutzungszeitraum von 40-60 Jahren geschätzt wurden. Im Klartext würde dies bedeuten, dass nach dieser Zeit 1) die Beschaffungspreise neuer Brennstäbe in die Höhe schiessen würden und 2) die Atomenergie als keine langfristige Lösung erscheint.
Im Glauben an die Intelligenz zukünftiger Menschen…
Wirklich dramatisch wird es jedoch, wenn es um die Frage der Entwertung oder Lagerung der verbrauchten Brennelemente geht. Es ist von Recycling-Lösungen die Rede, wobei vor einigen Jahren irgendwann mal ein Bericht im Fernsehen zu sehen war, dass dieses Recycling im ungeschützten Ablagern der Behälter in unbewohnten Gebieten besteht – bei Wind und Regen werden die irgendwann leck und strahlen. Dann wird, unter anderem in Finnland, an einem unterirdischen Endlager gebaut. In der Dokumentation Into Eternity werden einige interessante Fragen dahingehend diskutiert: wie kann man sichergehen, dass diese Endlager auch 200.000 Jahre nach ihrer Versiegelung von unseren Nachkommen nicht geöffnet wird?
Im Museum wurde die Entwertung der Brennstäbe wie folgt erklärt: Mit der Verbesserung der Zwischencontainer, die mittlerweile 40-60 Jahre halten, verlagert sich das Problem in die Zukunft. Wir vertrauen darauf, dass schon jemand eine Lösung findet. Anders ausgedrückt: Wir haben keinen Plan. Wir haben es zum Laufen gebracht, es erzeugt Energie und solange wir Brennstäbe nachschieben, scheint es zu funktionieren. Wir wissen nicht, wie lange es dauert, es wieder abzuschalten oder wie wir mit dem Müll umgehen sollen. Also wurschteln wir weiter wie bisher und hoffen, dass irgendwer auf eine bessere Idee kommt, bevor uns alles um die Ohren fliegt.
(K)eine Lösung in Sicht?
Als wir dann später über die Grenze nach Deutschland kamen, war ich überrascht, wie viele Dächer mit Solarzellen wir passierten. Sogar Parkuhren und andere kleine Verbraucher waren mit kleinen Solarzellchen ausgestattet, die sie von den grossen Verteilern unabhängig zu machen versprach. Zudem sahen wir zahlreiche Windräder. Deutschland will angeblich seine Atomkraftwerke herunterfahren, irgendwann, meinte der Vater eines Freundes, den wir besuchten. Irgendwann, vielleicht. Wenn es funktioniert.
Wir werden über kurz oder lang nicht herumkommen, uns mit einigen grundsätzlichen Energiefragen zu beschäftigen. Wie können wir für eine kreislauffähige, also nicht von einem endlichen Rohstoff, der zwangsweise irgendwann zu teuer (oder einfach erschöpft) werden wird, Energieerzeugung sorgen? Ich glaube nicht, dass es in den nächsten Jahren, vielleicht Jahrzehnten, möglich sein wird, den jetzigen, stetig steigenden Energieverbrauch rein aus den derzeit möglichen alternativen Energieformen wie Solarzellen und Windräder zu decken, vor allem, wenn man die vielen Verluste durch die vielen Verteiler einrechnet.
Die sich daraus ergebende Fragen betreffen auch das tagtägliche Leben und Wirtschaften eines jeden Einzelnen. Ist es etwa nötig, Geschäfte auch nachts beleuchtet zu lassen? Wie produzieren wir Produkte? Welche Produkte produzieren, konsumieren wir, deren Erzeugung ebenso Energie verschlingen muss, welche können wir vielleicht wieder benutzen oder aus alten unter Verwendung von weniger Energie neu herstellen?
Eine offene Herangehensweise an solche Fragen macht nicht nur auf einer gesamtwirtschaftlichen und ökologischen Ebene Sinn, sondern ebenso im tagtäglichen Leben. Anstatt etwa bei einem H&M ein günstiges Hemd um 7 Euro zu erwerben, dessen Herstellung vermutlich diverse Menschenrechte verletzt hat und das seinen Weg um die halbe Welt in diesen Laden fand, gibt es oft auch die Möglichkeit, die sporadisch stattfindenden Flohmärkte zu besuchen und dort aus zweiter Hand noch sehr verwendbare Waren günstigst zu ersteigern, ohne dabei ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Für unseren Bus haben wir dort etwa eine Klappmatratze um 5 Euro erworben, oder ein sehr schönes Hemd um einen Euro. Nur waschen sollte man seine Schätze vor der ersten Verwendung gut…
Das Foto oben zeigt eine sehr bedrückende mögliche Zukunft.
Aber vielleicht scheint auch einer Alternative eines schönen, hoffnungsvollen Tages eine starke Sonne.
Niklas