Jetzt bin ich bereits wieder eine Woche in Österreich angekommen, was habe ich erreicht? Ich habe mein Zimmer in Linz wieder bezogen, viele alte Freunde wieder getroffen und relativ wenig geschlafen. Ein paar neue Menschen kennen gelernt, auch wenn es noch schwer fällt, aber was habe ich vorzuzeigen, wovon kann ich erzählen, welche meiner Ziele habe ich erreicht? Inmitten der vielen Momente, in denen ich sehr froh bin, den Pfad der fixen Zielsetzungen verlassen zu haben, gibt es diese Momente, in denen der innere Sklaventreiber wieder erstarkt: Was hast du heute grossartig erreicht? Welche signifikanten Ergebnisse bringt dein Tagwerk hervor?
Es tut gut, messbare Ergebnisse, sichtbare Rückmeldungen des eigenen Tuns zu haben. Ich behaue ein Stück Holz, und mit der Zeit, langsam, aber doch sichtbar, wird es zur Statue. Ich vermische einige Zutaten und aus der unkenntlichen Masse entsteht ein duftender Kuchen. Mein Tun hat sichtbare Folgen, nicht nur für mich, sondern auch für andere. Die mir anvertrauten Kinder bestehen nach meinen Belehrungen eine Nachprüfung. Mein Tun hatte, gut sichtbar, einen Sinn. Meine Methoden und Strategien führten zum gewünschten Effekt. Ich hatte die Sache unter Kontrolle. Die richtigen Strategien führen zu den gewünschten Ergebnissen – ein Sinnbild meiner Kompetenz.
Ewige, heilige Suche
Was aber, wenn mein Ziel nicht die Erreichung eines bestimmten Zieles selbst ist, sondern diese Ziele nur Richtungen vorgeben, in die ich mich entwickeln möchte? Wenn Umwege vielleicht nötige Entwicklungen nach sich ziehen, wenn eine simple Unterscheidung in gut/schlecht, richtig/falsch nicht mehr so einfach erscheint? Manchmal wünsche ich mir diese einfacheren Zeiten zurück, in denen ich mich auf andere Menschen verlassen konnte, die mir sagten, was ich zu tun und was ich zu unterlassen hatte. Diesen Anforderungen zu entsprechen bedeutet auch, die entsprechenden bekannten positiven und negativen Rückmeldungen zu bekommen. Es ist manchmal einfach herrlich unkompliziert, in schwarz und weiss zu denken, es entlässt von einer Verantwortung, die manchmal schwer zu schultern ist: diese Bewertung der Wirklichkeit selbst vorzunehmen und für die Konsequenzen geradezustehen.
Wege abseits der ausgetretenen Pfade von Gut und Böse zu beschreiten, bedeutet, weite Strecken ohne diese externen Rückmeldungen, die wir so gewohnt sind, zurückzulegen, bedeutet, sich im freien Gelände über den Instinkt zu orientieren. Bedeutet unweigerlich auch, Fehler zu machen, vom Weg abzukommen, Umwege zu machen, die Richtung zu wechseln, Unterschlupf vor Unwidrigkeiten suchen zu müssen, an bitterem Hunger, an Einsamkeit zu leiden, vielleicht auch die gesteckten Ziele nie zu erreichen. Bedeutet, der Rolle des Touristen, der seinen touristischen Sehenswürdigkeiten folgt und enttäuscht ist, wenn die Attraktion geschlossen ist, abzustreifen, um in die Rolle des Entdeckers zu schlüpfen, der auf der Suche nach Abenteuern und neuen Entdeckungen viele Unwirtlichkeiten der Reise freiwillig auf sich nimmt.
Der Entdecker lebt den Prozess des Entdeckens, des Erforschens, des Neuen, und folgt keinem vorgeschriebenen Weg, weil er Neuland betritt. Natürlich verlässt er sich auf seine bisherigen Erfahrungen, vielleicht Hilfsmittel wie einem Kompass, wird Nahrung mitführen und vielleicht für eventuelle Notfälle vorgesorgt haben. Aber er hat kein festgelegtes Ziel ausser dem Weg, den er hinter sich bringt und die Erkenntnis, die ihm dieser Weg bringen wird. Er hat vielleicht Vorstellungen von der Beschaffenheit des Weges, aber legt sich nicht im Vorhinein fest, nur einen Trampelpfad zu betreten, wenn er wider Erwarten eine Schnellstrasse entdeckt. Er folgt dem Gelände in der Richtung, die ihm seine Erfahrung, sein Bauchgefühl, vorgibt, nicht um zu finden, sondern um unvoreingenommen zu erfahren.
Der Schmerz und die Freude
Ein Entdecker-Leben ist keine einfache Art, ein Leben zu verbringen, aber ich glaube, es ist eine sehr lohnende. Ein Entdecker muss mit dem Risiko leben, nichts Neues entdeckt zu haben, im Kreis gelaufen zu sein oder gar grosse Not zu leiden, wenn ihm die Vorräte ausgehen und er sich fern aller Zivilisation befindet. Vielleicht interessieren seine Entdeckungen auch niemanden ausser ihn selbst, hinterlässt er seine Spuren in Wäldern, um eines Tages von einer Klippe zu fallen, nie aufgefunden zu werden, während neues Gras über seine Fussabtritte wächst.
Doch diese Fssabdrücke, so klein und unbedeutend sie auch sein mögen, so wenig von ihrem Urheber bekannt sein mag, der einige Tagesreisen weiter tot in einem Abhang auf seine Auffindung wartet, diese Fussabdrücke gehen ein in den ewigen Fluss eines Waldes, einer Landschaft, werden Teil von ihr, eins mit ihr, veränderten das Gesicht der Erde, der Welt, um diese wenigen Zentimeter, die Folgen nach sich ziehen können. Weitere Wanderer stossen auf die Spuren, finden die Leiche, vermeiden die Klippe, eine Verbindung zwischen zwei Städten entsteht, Strassen werden gebaut. Oder durch das sanfte Auftreten des Entdeckers wurde die Erde durchlockert, was ihr Wachstum förderte, und hunderte Jahre spätDer Schmerz der Entdeckerer verläuft ein Waldstück entlang des alten Pfades des Entdeckers.
Entdecker stellen sich dem grössten Erfolgsdruck von allen: der eigenen Bewertung. Es ist schwer, sich selbst zufriedenzustellen, beinahe unmöglich. Und so verbringen diese rastlosen Seelen ihr Leben zwischen fast manischen Phasen des Aufbruches, des Reisefiebers und dem dumpfen Gefühl, sich nicht genug angestrengt zu haben, zu lasch gewesen zu sein, finden kaum Ruhe, kaum Rast, sind oft verzückt über neue Entdeckungen, dann wieder zutiefst traurig über ihre eigene Unzulänglichkeit, überanstrengen sich, brechen erschöpft zusammen, werden stärker, werden weiser, aber ihr Herz lässt sie nicht ruhen, solange es noch Hoffnung auf einen nächsten Schlag, einen nächsten Moment dieser köstlichen Freude des Neuen gibt.
Solange werden wir Entdecker brennen, leiden, lieben, leben.
Niklas