Manchmal ist es ziemlich schwierig, sich eine Sache vorzunehmen und dann auch durchzuziehen. Die Gründe können vielfältig sein – Angst, Peinlichkeit, oft auch Bequemlichkeit – doch das Ergebnis ist dann meistens ähnlich: am Ende ärgert man sich darüber, etwas nicht geschafft zu haben, was man sich doch vorgenommen hat. Dann wird es eben auf den nächsten Tag verschoben, und wieder den nächsten. Und irgendwann sind einige Monate vergangen und die Sache verschwindet aus der Wahrnehmung.
Im Nebel des Alltags
Letzten Sonntag ist mir plötzlich wieder eingefallen, dass ich im Sommer einigen Freunden erzählt habe, ich würde mich – sobald ich umgezogen war – hier an meinem neuen Wohnort in Kiel in eine belebte Einkaufsstraße stellen, mit einem Schild, auf dem „Habe hier noch keine Freunde“ steht, um gleich einige interessante Kontakte herzustellen. Ich fand die Idee damals ziemlich genial – einerseits ist sie wohl gut geeignet, den Alltag einiger Menschen ein wenig aufzuheitern, andererseits funktioniert es ja vielleicht tatsächlich, auf diesem Wege Kontakte zu knüpfen. Und ich würde ja nicht einmal lügen dabei, immerhin war ich ja neu hier. Die Idee ist dann immer wieder in Vergessenheit geraten und wieder aufgetaucht. Gemacht habe ich es jedoch nie.
Irgendwann habe ich mir dann vorgenommen, zumindest wieder einmal Gratis-Umarmungen zu verteilen, immerhin habe ich das in meinem Leben schon oft gemacht, mit Freunden oder auch alleine, aber auch das habe ich immer wieder aufgeschoben, obwohl ich weiß, wie viel Freude solche Dinge bereiten können. Ich habe festgestellt, dass ich ziemlich gut darin geworden bin, mir selbst Gründe auszudenken, warum ich etwas angeblich nicht machen kann.
Zehn Briefe
Letzten Sonntag ist mir dann bewusst geworden, wie eintönig mein Tagesablauf sich eigentlich mittlerweile gestaltet, und wie viel aufgestaute Energie ich eigentlich in mir habe, um diese selbstauferlegten geistigen Beschränkungen endlich wieder zu überwinden. Gemeinsam mit meinen WG-Mitbewohnern hatte ich dann Spaß daran, mir die Auswirkungen einiger Ideen vorzustellen, und so beschloss ich dann, zumindest eine dieser Ideen auch umzusetzen: zehn Briefe per Hand an zehn zufällige Privat-Adressen zu schicken und zu sehen, was passieren würde.
Kaum hatten meine Mitbewohner die Küche verlassen, fand mein ängstlicher Geist sofort Tausende Gründe, warum dies eine dämliche Idee sei und warum es nicht funktionieren könnte, aber ich war darauf vorbereitet und schrieb gleich darauf die ersten zwei Briefe. In einem TED-Talk spricht Mel Robbins darüber, dass wir für Ideen, die wir nicht in den ersten fünf Sekunden sofort umsetzen, eine Art „Aktivierungs-Energie“ aufwenden müssen, um die vielen Rationalisierungen, die unserem Geist dagegen einfallen, überwinden zu können, und ich glaube, sie hat Recht. Der Trick an der Sache ist es wohl, Ideen entweder sofort umzusetzen oder zumindest sofort für so viel Momentum zu sorgen, dass die Idee auch gegen die eigenen Widerstände umgesetzt werden kann – in diesem Fall das Schreiben der ersten zwei Briefe, die das Schreiben der restlichen acht nicht mehr sonderlich schwer erschienen ließen. Tatsächlich habe ich sie am Donnerstagnachmittag dann abschicken können.
Challenge-Kreise
Ich habe mir in den letzten Tagen auch darüber Gedanken gemacht, wie ich es mir in Zukunft wieder erleichtern könnte, meine Ideen auch tatsächlich umzusetzen und mir nicht selbst wieder auszureden, und was bisher in meinem Leben sehr gut funktioniert hat, ist andere Menschen um mich zu haben, denen ich entweder angekündigt habe, etwas auch tatsächlich umzusetzen, aber auch, wenn ich das Bedürfnis habe, ihnen etwas Interessantes zu erzählen zu haben (mit einer Ex-Freundin habe ich damals einen regelrechten Wettkampf daraus gemacht). Und aus meinem eigenen Bedürfnis heraus, eine Art „Support-Gruppe“ für diese Grenzerfahrungen zu haben, aber auch weil ich es aufgrund eigener Erfahrungen für eine sinnvolle Sache halte, habe ich auch in meiner Schule nun ein wöchentliches Treffen ins Leben gerufen und mangels besseren Namens „Challenge-Kreise“ genannt. Die Idee dabei ist relativ simpel:
Einmal wöchentlich findet ein freiwilliges Treffen statt, zu dem grundsätzlich ein jeder eingeladen ist, zuzuhören. Wer sich etwas vornehmen möchte, kann des nun „öffentlich“ bekanntgeben, dazu um Unterstützung bitten. Der „Vorsatz“ wird schriftlich notiert, und zu dem angekündigten Zeitpunkt auch nachgefragt, was aus dem „Vorsatz“ geworden ist. Die einzige Verpflichtung an der Sache ist jene, nach Ablauf der selbstgewählten Zeit vom Verlauf der Sache zu berichten. Ob mündlich oder schriftlich, ist einem jedem selbst überlassen. Man könnte das Ganze wohl auch ausbauen und anderen Vorschläge machen, nach dem im amerikanischen Raum verbreiteten „I dare you to …“.
In einem ersten Versuch ist es weniger ein Kreis geworden, sondern eher ein „Dreieck“, weil wir nur zu dritt waren, ich und zwei Schülerinnen, aber bei dem sehr freien Konzept unserer Schule ist das nichts Ungewöhnliches. Eine davon hat sich vorgenommen, eine Woche lang nichts Süßes zu essen, eine andere hat angeboten, mich zu begleiten, wenn ich Gratis-Umarmungen verteilen will (mein eigener Vorsatz bis nächsten Donnerstag), weil es alleine einfach schwieriger ist als zu zweit.
Einerseits finde ich die Sache als pädagogische Methodik interessant, andererseits freue ich mich, nun vielleicht wieder so etwas wie eine „Support-Gruppe“ für meine eigenen mehr oder weniger absurden Vorhaben zu gewinnen. Die Methodik ist dabei ja so offen, dass sie für „sinnvolle“ Experimente ebenso genutzt werden kann wie für absurdere Aktionen wie z.B. einen ganzen Tag lang nur rückwärts zu gehen. Wenn alles klappt, wie ich mir das vorstelle, sollten wir in den nächsten Wochen aus unserem Dreieck rasch ein Vieleck, vielleicht dann auch einen oder mehrere tatsächliche Kreise bilden können.
Ich halte euch auf dem Laufenden.
Niklas