Ein Koffer bietet nur sehr begrenzten Raum. Diese eigentlich sehr logische Aussage wird dann zum Problem, wenn es heisst, aus einer Fülle von Dingen diejenigen auszuwählen, die wichtig genug sind, diesen begrenzten Raum auszufüllen. Nachdem ich einige Monate mit dem Inhalt meines alten Schulrucksack ausgekommen war (und meiner Gitarre), wobei die Hälfte des Rucksackes mit Gitarrennoten und Lied-Texten schon verbraucht war, überrascht es mich trotzdem von Neuem, wie viele Dinge sich in einem Jahr ansammeln, die ich beim besten Willen nicht in einen Koffer bringen werde.
Da sind einige Bücher, die ich bereits aus Österreich mitgeschleppt hatte, ohne sie in diesem Jahr ein einziges Mal zu lesen. Einige Gebrauchsgegenstände wie Farbstifte, Besteck, Küchengeschirr, zwei Decken, die mangels Heizung und aufgrund der teilweise klirrenden Kälte bitter nötig waren, aber ebenso wenig Platz in meinem Koffer finden werden. Es sieht so aus, als könnte ich aufgrund absurder Bestimmungen des Fluganbieters sogar gezwungen sein, meine geliebte Gitarre hier zu lassen, weil die Mitnahme von Instrumenten weit teurer werden kann als ihr eigentliche Wert.
Schau wo ich schon war
Heute war ich mit einigen Freunden am sonntäglichen Markt in Curitiba, an dem unzählige nette Kunsthandwerke, Kleidungsstücke und auch kulinarische Verpflegung angeboten wird – unter anderem, um Souvenirs für einige Menschen in Österreich zu besorgen. Und plötzlich wurde mir bewusst, wie absurd dies eigentlich war. Welchen Zweck hatte es, hier in Brasilien Dinge zu kaufen, den bereits sehr begrenzten Kofferplatz dafür aufzuwenden, wenn diese Souvenirs im Regelfall nach kurzer Zeit, 10.000 km weiter, wieder verstauben würden? Welchen Wert hat ein T-Shirt mit Brasilien drauf für jemanden, der nie dort war? Seht alle her ich kenne jemanden, der dort war, und er hat mir dieses T-Shirt mitgebracht: Ist unser Selbstwert wirklich so am Boden, dass wir diese Bestätigung brauchen?
Da sich mein spezieller Sandlerfreund, dem ich mein Zelt geborgt hatte, schon einige Tage nicht mehr gemeldet hatte, hatte ich bereits Bedenken gehabt, ich würde das Zelt nicht mehr (rechtzeitig) zurückbekommen – bis ich realisierte, dass er (oder ein jeder andere Obdachlose hier) viel sinnvoller und öfter einsetzen würde als ich. Dass ich ohnehin keinen Platz im Koffer dafür haben würde und einige meiner Freunde in Österreich ebenso Zelte besassen, die man sich zur Not auch ausborgen konnte. Falls er es mir noch zurückgeben wollte, sollte ich ihm auftragen, es anderen Sandlern zur Verfügung zu stellen, nicht mir.
Staubhaufen
Es ist absurd, wie wenige unserer Dinge, die sich im Laufe der Zeit ansammeln, wir wirklich oft benötigen: zumindest etwa drei Monate lang passten all diese Dinge in einen kleinen Rucksack. Als ich in Österreich meine Wohnung ausräumte, passte alles, was mir „wichtig“ erschien (und das, obwohl ich bereits viele Dinge wie meine zweite Gitarre verschenkt hatte), gerade noch in ein Auto. Ich habe mich, wie es aussieht, durchaus verbessert, was das Auskommen mit wenigen Dingen betrifft. Es wäre schade, da einen Rückfall zu erleiden.
Und dann schickte mir gestern ein wohl seelenverwandter Mensch einen Link zu einer Facebook-Gruppe, die in Wien versucht, Dinge, die man nicht braucht, an Menschen weiter zu geben, die diese Dinge brauchen können (danke an dieser Stelle!), und vieles wurde klar. Wir brauchen einige persönliche Dinge jeden Tag, unser „Rucksack“ an Dingen, die wir nicht gewillt sind, hinter uns zu lassen.
Dann gibt es eine Anzahl von Dingen, die wir hin und wieder benötigen. Die logische Konsequenz (und in einer perfekten Welt) wäre es, diese Dinge, wenn man sie denn schon hat, anderen zukommen zu lassen, oder von anderen ausborgt, wenn man sie nicht hat. Perfekte Welt deswegen, weil es immer noch genug Misstrauen unter Menschen gibt, das ein solches konstruktives Zusammenarbeiten verhindern kann. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass ein wenig Erfahrung, sowohl gute als auch negative, da helfen kann, Vertrauen beziehungsweise Hilfssysteme, wo Vertrauen nicht reicht, aufzubauen. Dinge, die man braucht, aber nicht ständig, würden so verfügbar sein, ohne ständig in einer Ecke herumliegen zu müssen.
Die möglichen Folgen wäre eine Reduzierung der Neueinkäufe von Dingen, die wir ohnehin nicht benötigen, die nur Platz wegnehmen und Sorgen machen, und eine Verstärkung der Interdependenz, der Beziehungen zwischen den beteiligten Menschen. Vermutlich würde unsere Wirtschaft ein wenig einbrechen. „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“, hat jemand mal in die Welt postuliert. Nun, ich denke, wir sollten nicht nur am Aufrechterhalten irgendwelcher Systeme interessiert sein sondern vor allem an den Menschen, die hinter diesen Systemen stehen: verbessert unser Handeln ihre Lebensqualität? Wenn ja, dann können von mir aus ruhig einige Industriezweige einbrechen. „Die Wirtschaft“ als System ist relativ unwichtig. In dem Sinne:
Geht’s den Menschen gut, geht’s uns allen gut.
Niklas