Gestern sollte das erste Treffen unserer Free Skool stattfinden, Deutsch. Nur eine Frau hatte sich angemeldet, sie wollte eine weitere Freundin mitbringen. Doch niemand kam. Da es in Brasilien üblich ist, später als ausgemacht zu kommen, wartete ich eben eine Weile, aber es half nichts – ich war umsonst hier. Auch wenn es in diesem Fall nur um einen Fussweg von fünf Minuten handelte, es war lästig. Ich hatte noch am Vortrag mit ihr geschrieben, ob sie eh kommen würde…
Auch Warten ist eine Entscheidung
Und dann sah ich einen jungen Mann etwa zehn Meter weiter sitzen, dem Augenschein nach ebenso wartend und in die Luft starrend wie ich. Ich setzte mich zu ihm und er erzählte, dass er auf eine Freundin wartete, um mit ihr nachher ins Theater zu gehen. Da die Vorstellung erst etwas später startete und ich einige kleine Bälle in meinem Rucksack fand, spielten wir (als die Freundin noch kam) im Uni-Park Rot-Blau-Tot, ein Ballspiel, dass ich als Kind immer gerne gespielt hatte.
Ich wollte dann mangels Alternativen mit ins Theater, nur war die Vorstellung bereits ausverkauft. Glücklicherweise traf ich jedoch im Wartesaal des Theaters auf einen anderen jungen Mann, der mir die Eintrittskarte eines Freundes schenkte, weil dieser nicht kommen würde. Es stellte sich heraus, dass dieser freundliche junge Herr in der Schule etwas Deutsch gelernt hatte – und ja, er hätte Interesse, in unserer Free Skool sein Deutsch weiter zu verfeinern. Ich hatte zwar meine eigentliche Schülerin nicht angetroffen, aber dafür vielleicht einen neuen hinzugewonnen.
Hier sind meine Bedingungen…
Ich hatte letzte Woche eine junge Frau, die ich bei den Protesten kennengelernt hatte, einige Male mit eingeladen, wenn es Kuchen zu essen oder Brettspiele zu spielen gab. Obwohl sie zusagte, kam sie nicht, entschuldigte sich dann Stunden später, dass sie es „leider nicht geschafft“ habe. Da sie noch nie bei mir war und mein Handy keinen Ton hat, bedeutet dies, dass ich einige Stunden damit verbracht habe, immer wieder auf mein Handy zu schauen, ob sie schon angekommen ist, weil ich sie ja nicht in der Kälte warten lassen wollte.
Irgendwann wurde es mir dann zu blöd, und ich erklärte ihr, wenn sie mich treffen wolle, solle sie sich vorher überlegen, ob dieses Treffen etwas werden kann, und mir nur dann sagen, sie würde kommen. Gestern Abend war sie dann da und hat versucht, mir Stricken beizubringen, ein zwar hoffnungsloses, aber für beide Seiten sehr spassiges Unterfangen.
„Respekt“ in der Schule
Umgelegt auf eine klassische Schulsituation stehen diese beiden Möglichkeiten scheinbar nur eingeschränkt zur Verfügung. Ich werde als Lehrer ja dafür bezahlt, Schüler zu unter-richten – wie könnte ich da, wenn diese kein Interesse an meinem Unter-richt haben sollten, meine Zeit anderweitig und für mich sinnvoll nutzen, wenn es doch meine Aufgabe ist, sie meinen Schülern zu schenken? Wie kann ich Bedingungen an meine Schüler stellen und diese auch Einfordern, wenn sie keine Alternativen zu mir haben? Und wenn sie mich nicht respektieren, wie verschaffe ich mir Respekt? Übliche Antworten sind: durch Druck. Durch zurechtweisen, durch Plus, Minus, Noten, Zeugnisse. Ein Lehrer hat sich doch den Respekt zu verschaffen, den er verdient.
Nur einer von vielen
Eine bunterrichtende Alternative ist es, zu realisieren, dass man als Lehrer (vor allem in der heutigen Zeit) nur eine von vielen Lernquellen für die Kinder ist. Genauso, wie wir (mehr oder weniger) Erwachsenen nicht nur in Lerninstitutionen oder von bestimmten Personen lernen, lernen Kinder nicht nur von uns, und wir sollten daher, wie ich finde, auch gar nicht versuchen, so zu tun. Dies bedeutet, meine Anwesenheit als Lehrer als Angebot klarzustellen, das ebenso abgelehnt werden kann. Ich bin da, ich kann dir (vielleicht) helfen, aber du bist frei, dir andere Wege zu suchen. Wenn mich gerade niemand anderer braucht, so fühle ich mich nicht nutzlos, sondern gehe meinen eigenen Interessen nach, woraufhin du selbst beobachten kannst, ob das, was ich tue (oder nicht tue) für dein eigenes Tun relevant sein könnte.
Da du und ich uns in Freiheit begegnen, haben wir beide das Recht, Bedingungen für unsere Zusammenarbeit zu stellen, die wir Respekt nennen können. Wenn wir unsere jeweiligen gegenseitigen Bedingungen respektieren können, werden wir uns vielleicht gegenseitig helfen können, wenn nicht, so gehen wir eben unsere eigenen Wege. Respekt ist nicht etwas, das nur du mir zu zollen hast, oder nur ich dir. Respekt geht in beide Richtungen. Er symbolisiert das Bewusstsein, dass wir alle denkende, fühlende Menschen sind und keine Maschinen, die für den jeweils anderen gewisse „Funktionen“ zu erfüllen haben.
Namaste.
Niklas