Seit einigen Wochen arbeite ich an einer neuen Schule mit jeweils einigen Fachlehrer-Stunden in verschiedenen Klassen, und interessanterweise fällt mir auf, dass ich in den verschiedenen Klassen und Fächern jeweils sehr unterschiedlich unterrichte – von sehr eng geführtem frontalen Unterricht hin zu fast völliger Offenheit des Unterrichts in Sozialform, Lösung und selbst Aufgabe ist je nach Klasse, Fach und Tagesverfassung alles zu finden, und auch wenn es Methoden und Zugänge gibt, mit denen ich es weniger gewöhnt bin zu arbeiten (z.B. Frontalunterricht), so werden sie in den meisten Klassen gut angenommen. In den Klassen bin ich nun auf Anraten meiner Vorgesetzten auch zum ersten Mal der „Herr Baumgärtler“ statt des Niklas, was sich nach bisherigen Erfahrungen gut bewährt.
Und doch… gibt es eine Klasse, in der ich Stunden zu halten habe, mit der ich nach meinen eigenen – hohen – Ansprüchen bisher nur ungenügend zurechtkomme. Es handelt sich um jüngere Kinder, und da ich auch in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht habe, mit älteren Kindern und Jugendlichen am besten zurechtzukommen, war eine spontane Idee, mich zu erkundigen, ob ich nicht auf NMS-Lehrer umsatteln könne, etwa für Deutsch, Englisch, Mathematik und Geschichte. Aber der Forscher in mir gibt nur ungern auf, und da ich seit letzten Samstag angeschlagen und seit gestern auch offiziell krankgemeldet bin und die Zeit im Bett verbringen muss, hat mein Geist Zeit und Aufmerksamkeit, die Situation zu analysieren. Ich habe also eine Liste angefertigt mit Aufgaben und Situationen, die in der betreffenden Klasse gut oder nicht gut funktionieren – und dabei einige für mich interessante Entdeckungen gemacht.
Verteilungs-Kämpfe
Eine erste Entdeckung ist jene, dass die Kinder in dieser Klasse offensichtlich überfordert sind, wenn sie einen erlebten Mangel sozial auszuhandeln haben, wobei ich mit „Mangel“ etwa eine bestimmte Art von Stuhl meine, von denen es nicht genügend für alle Kinder gibt, auf dem aber alle Kinder sitzen wollen. Ändert sich etwas an der von einer Autorität festgesetzten Aufteilung dieser Mangel-Güter und entsteht ein offener Raum (z.B. weil ein Kind, das üblicherweise einen Stuhl besetzt, an einem Tag krank ist), so entsteht ein Interessenskonflikt, den die Kinder jener Klasse (noch) schwer untereinander aushandeln können – und schon gar nicht, wenn ich währenddessen versuche, ihnen etwas zu erklären. Der gleiche Effekt tritt beispielsweise ein, wenn es darum geht, Aufgaben zu verteilen, die nur jeweils einmal (oder eine bestimmte Anzahl Mal) zu erledigen sind – sofort setzt ein Macht- bzw. Verteilungskampf ein, der die Aufmerksamkeit vom restlichen Geschehen abzieht.
Man könnte nun als Lehrer verschiedene Strategien wählen, mit einer solchen Situation umzugehen, wobei ich mich in den letzten Wochen in dieser Klasse oft nicht ideal entschieden habe. Einerseits kann ich meine Autorität als Lehrer einsetzen, rasch eine Lösung herbeizuführen. Diese wird nicht immer ideal sein, weil ich oft nur ungenügende Informationen zur Verfügung habe. Ich kann versuchen, alle betroffenen Seiten anzuhören, um eine möglichst konstruktive Lösung zu finden, aber dies dauert oft lange und nervt diejenigen, die vom Konflikt nicht betroffen sind. Oder ich kann beispielsweise die Kinder dazu aufrufen, den Konflikt selbst zu lösen bzw. mich darauf verlassen, dass diese das schon untereinander schaffen. In jener Klasse habe ich die Fähigkeit der Kinder, Konflikte untereinander zu lösen, bisher wohl ziemlich überschätzt, was wohl mit dazu geführt hat, dass meine Autorität in dieser Klasse gelitten hat.
Unverlässliche Autoritäten sind keine Autoritäten
Autorität in einer Gruppe entsteht bzw. erhält sich durch die Erfahrung, dass man sich bei persönlicher Überforderung auf die Autorität verlassen kann, und in dieser Klasse war ich nun einige Male selbst so überfordert mit einer Situation, dass dieses Vertrauen in mich als Autorität gelitten hat. Unverlässliche Autoritäten werden auf Dauer nicht mehr als solche wahrgenommen. Das schmerzt. Nagt am Ego eines Menschen, der sehr hohe Ansprüche an sich selbst stellt. Und doch… habe ich vor einiger Zeit hier auf diesem Blog darüber geschrieben, dass qualitatives Lernen, wirklich signifikante Weiterentwicklung nur durch Erleben und einem Sich-Stellen von Frusterfahrungen stattfindet, und ich glaube an die universelle Wahrheit dieser Aussage. Den Frust durchlebe ich, erst latent und nun, durch die Zeit zu reflektieren, die mir mein Körper durch die Krankheit und meine Vorgesetzte durch den Vorschlag, einen Tag auch offiziell krank zu sein, geschenkt haben, ungefiltert. Ich hoffe, dass er mich eine konstruktiven Lösung des Problems näher gebracht hat.
Ich werde also versuchen, in jener Klasse stabilere Verhältnisse zu schaffen oder zumindest nicht mehr durch eigenes Verschulden (z.B. unklar formulierte Arbeitsaufträge oder unnötigen Mangel und daraus resultierende Verteilungskämpfe) zusätzliche Überforderung für meine Schüler zu schaffen, und jene Rituale zu forcieren, die sich bisher bewährt haben bzw. Neuerungen behutsamer einführen. In all meiner Übermotivation übersehe ich manchmal den Fakt, dass auch ich nur ein Mensch bin, der die Überforderung meiner Schüler nur bis zu einem gewissen Punkt durch eigenen Einsatz ausgleichen kann, und dass dieser eigene Energievorrat auch von meinem eigenen Tageszustand abhängt.
Das meiste von dem, was ich für mehr Erfolg wissen müsste, habe ich wohl schon irgendwo auf diesem Blog niedergeschrieben. Aber zu wissen, was richtig wäre, ist alleine noch kein Garant dafür, auch das Richtige und Notwendige zu tun. Letzteres ist oft ein Kampf und harte Arbeit. Aber im Grunde liebe ich ja glücklicherweise auch die Herausforderung.
Niklas