Ich liebe dich. Das hatte sie gesagt. Zu ihm. Und im Eifer des Gefechts hatte er es auch noch zu ihr gesagt. Praktischerweise war ihm einen Moment später bewusst geworden, dass es ja auch stimmte. Warum also sich Sorgen machen? Sorglos durch die Welt. War ja auch ziemlich schön, die Welt. Warum also nicht?
Mit der Zeit fand er sogar Gefallen daran. Ich liebe dich. I lieb di. Klang irgendwie gut und richtig. Ein bisschen lief ihm immer noch ein Schauer über den Rücken, wenn er diese Worte aussprach. Als würde er mit einem gefährlichen Gegenstand hantieren. Warum hatte er sie all die Jahre zurückgehalten? Es waren Worte, wie jeder sie hören wollte, die Freude bereiteten. Warum nicht? Worte waren schließlich nur Worte. Kosteten nichts. Und doch blieb dieses seltsame Gefühl, etwas übersehen zu haben.
Monate später erkannte er die Ursache. Wer war dieses „Du“, das er lieben wollte? Wer war dieser Mensch, dem er seine Liebe zusprach, und folglich, wer war dieser Mensch nicht? Liebte er nur das, was er bislang von ihr gesehen hatte, oder auch das, was sie ihm noch von ihr zeigen würde? War er mit seinem „Ich liebe dich“ eine Art von Vertrag eingegangen, und wenn ja, würde er ihn erfüllen können? Was, wenn er in ihr etwas fand, was er nicht zu lieben vermochte? Würde er gezwungen sein, seine Worte zurückzunehmen? Würde sie sich nicht unter Druck gesetzt fühlen, ihm nur einen Ausschnitt von ihr zu zeigen, der seinen Vorstellungen eines liebens-würdigen Menschen entsprach? Wen meinte er, wenn er sagte: Ich liebe dich? Gab es überhaupt ein Du hinter den Bildern, den Masken, die uns trennten? Und wie würde er es erkennen, von den Masken unterscheiden können?
Wie so oft fand er seine Antwort schließlich in den Bewegungen der Gezeiten. Spazierengehend dachte er zurück an das Meer, das ewige Kommen und Gehen der Flut. Wie die Wellen an den Strand rollten, vergänglich wie das Leben selbst, war wohl auch das, was er von ihr in Augenblicken sah, nur ein momentaner Ausdruck ihrer unvergänglichen Seele. Vergänglich war ihr Handeln, vergänglich der Anblick ihres Körpers, und irgendwie auch vergänglich ihre Liebe zu ihm. Alles Leben, das ihn umspülte, würde vergehen, würde wieder eingehen in einen Ursprung, um wiederzukehren in neuer Gestalt.
Es war nicht notwendig, jede einzelne Welle schön zu finden, um Ehrfurcht vor dem Meer zu empfinden. Und dieses Meer in ihr, der Ursprung ihrer Offenbarungen an die Welt war es, was ihn faszinierte, was er liebte mit all seiner Macht, das wurde ihm nun bewusst. Ihre Fähigkeit, ihn mit ihrem so reichen Sein zu überraschen, zu umspülen, sich an seinem Ich ebenso zu reiben wie an seinem Körper.
Und nun wusste er auch, was ihn stets davon abgehalten hatte, die Worte „Ich liebe dich“ in den Mund zu nehmen. Sie nutzten sich zu schnell ab, wenn man sie an ein äußeres Du richtete, das so vergänglich war wie der Wind. Wurden zu kraftlosen Lauten, wenn sie nur ausgesprochen wurden, um ein gedankenloses Echo zu erhaschen. Es waren heilige Worte für den, der sie in Ehren hielt, wie alle Worte es sein konnten, wenn sie nicht mehr achtlos eingesetzt, sondern bewusst gewählt wurden. Dann waren es eben nicht nur Worte, sondern Worte für mehr. Wurden wert-voll.
Ich liebe dich, sagte er in einem Anflug von Begeisterung, die ihn von innen heraus erschaudern ließ, und fühlte, dass der Schauder von der Erkenntnis herrührte, eine tiefe Wahrheit auszusprechen. Er liebte diese Wellen, auf denen sie ihm zu reiten erlaubte, liebte ihr Meer, aus dem sie entsprungen waren. Und freute sich auf das Mehr, das ihn in ihren Tiefen noch erwartete.