Diese Geschichte basiert auf einem Video, das ich vor einigen Monaten auf YouTube gesehen habe – sehr empfehlenswert. Hier der Link dazu.
Als er damals zum ersten Mal in das Tal kam, war er bereits lange gewandert und sehr müde. Er hatte geglaubt, in den Dörfern der Umgebung Unterschlupf zu finden, doch sie hatten ihn mürrisch abgewiesen. Es sei in diesem kargen Land kaum genug für sie selbst da, hatten sie gemeint und ihn fortgejagt. Und so war er sehr froh, als er bei Einbruch der Dunkelheit eine offensichtlich bewohnte kleine Hütte erblickte. Er klopfte, und ein älterer Mann mit einem freundlichen Lächeln öffnete ihm. Neugierig beobachtete er, wie der Alte Eicheln sortierte. Darauf angesprochen, meinte der Alte nur, er würde die guten einpflanzen wollen. Eine jede gute Eichel sei wie eine gute Tat: sie würde prächtige Ernte bringen.
Der junge Mann brach bald am nächsten Morgen auf, um seine Wanderungen fortzusetzen. Erst Jahre später kam er wieder in das Tal, in dem er einst die Nacht verbracht hatte. Doch wie hatte es sich verändert! Nackte Felsen waren blühenden Wiesen gewichen, und die Siedlungen ringsum waren zu Dörfern angewachsen. Sogar ein kleines Bächlein wand sich nun durch das einst unfruchtbare Tal! Er war erfreut, den Alten in seiner Hütte anzutreffen. Die Dorfbewohner vertrauten dem alten Mann nicht sonderlich. Was bezweckte er wohl damit, stets so freundlich zu allen zu sein? „Eine Eichel zu pflanzen, war der Beginn dieses Reichtums“, meinte er, auf die blühende Umgebung deutend, „die Früchte guter Taten werden diesem Tal nun Frieden bringen.“ Mit diesen Worten des Alten, der nur selten sprach und gerade dadurch seinen Worten besonderes Gewicht verlieh, verließ ihn der Jüngere erneut für viele Jahre.
Jahre später war er des Wanderns müde geworden und sehnte sich nach der Einfachheit der alten Hütte im Wald. Doch als er die Hütte erreichte, fand er sie verfallen vor, der Alte verschwunden. Die einstigen Dörfer waren zu Großstädten angewachsen. Der Fluss war zu einer braunen Brühe geworden, und der Dampf der Fabriken sammelte sich zu dunklen Wolken, die sich in saurem Regen entluden, der die Felder unfruchtbar machte. Die Kinder, die einst auf grünen Wiesen gespielt hatten, wurden nun in kleine Gebäude gepfercht, wo sie von Erwachsenen unterrichtet wurden, damit sie alles über eine Natur lernten, die in einem Umkreis von vielen Hunderten Kilometern nicht mehr existierte. Denn auch die Dörfer der Umgebung waren angewachsen, zu Städten geworden, hatten Fabriken errichtet und alles, worauf sie aufgebaut waren, im Laufe der Zeit vernichtet.
Der junge Mann, der längst zu einem alten Mann geworden war, war es Leid geworden, ständig unterwegs zu sein, und hatte beschlossen, hier zu bleiben. Er bezog die Hütte des Alten, und da es Herbst war, fand er sogar noch einige brauchbare Eicheln von einer der letzten überlebenden Bäume, die der Alte einst gepflanzt hatte. Die Bewohner der umliegenden Städte, die noch nicht weitergezogen waren, um anderswo fruchtbares Land in unbewohnbare Wüsten zu verwandeln, wunderten sich über den Sonderling, der sorgfältig seine Eicheln in den Boden pflanzte, doch sie ließen ihn in Ruhe. Manchmal stahlen sich einige der Kinder aus der Schule, in der immer noch einige innerlich längst hoffnungslose Lehrer ihnen über den Fortschritt der Menschheit erzählten, und besuchten ihn. Warum er Eicheln pflanzte, wo doch das Land längst abgestorben war? „Um die Erinnerung an einen großen Mann hochzuhalten, Kinder“, meinte er dann mit einem geheimnisvollen Lächeln, „der hier einst gelebt hat. Einer, der den Grundstein für all eure Städte mit einigen wenigen Eicheln gelegt hat.“
Er war nicht sonderlich überrascht über die Menge an Kinderhänden, die um Eicheln baten, um ihm zu helfen. Wie öd wäre diese Welt nur ohne Kinderseelen!
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