Es war ein Tag wie jeder andere gewesen.
Gegen 6:15 hatte der Wecker geklingelt, gegen 6:20 war er dann – noch etwas schlaftrunken, wie jeden Morgen – aufgestanden, hatte seine Wäsche gepackt und war ins Bad geschlurft.
Nach dreieinhalb Minuten intensiven Zähneputzens (eine halbe Minute zusätzlich zur empfohlenen Putz-Zeit von drei Minuten konnte nicht schaden) hatte er die Dusche betreten, um sich in einem Wechsel von kaltem und warmem Wasser auch noch den letzten Schlaf aus den Gliedern waschen zu lassen.
Danach war er – nun bereits halbwegs ansprechbar – weiter in die Küche getrottet, um sich den tagtäglichen Kaffee zu bereiten, und auch das Müsli mit einer erlesenen Auswahl an Früchten war bereits bereit, verspeist zu werden.
Wie jeden Morgen hatte er sich dann an den Esstisch gesetzt, hatte den Kaffee und das Müsli neben seinem Laptop platziert, den Laptop angeworfen und würde nun die wichtigsten Emails durchgehen, bevor er sich den neuesten Nachrichten aus aller Herren Länder zuwandte.
Doch ein kleines Symbol an seiner Taskleiste zeigte anhand einiger weißer und grauer Balken an, dass die Verbindungsqualität nicht nur gerade noch bei etwa 20% des Optimums liegen musste (erkennbar daran, dass nur einer der fünf Balken weiß gefärbt war). Nein, quer über den Balken prangte nun auch noch ein gelbes Dreieck mit einem Ausrufezeichen darauf.
Mit einem gequälten Seufzer klickte er das Symbol an, und die Vermutungen bestätigten sich: „Verbindungsprobleme“.
Dies brachte seinen Tagesablauf nun allerdings gehörig durcheinander. Weil er wusste, dass er jeden Morgen zumindest die wichtigsten Emails durchlas, hatte er es gestern Abend unterlassen. Nun würde er uninformiert an seinem Arbeitsplatz erscheinen. Auch über die Entwicklungen der Weltgeschichte würde er nun nicht informiert sein.
Doch woran mochte es liegen? Er beschloss, seine Frühstückszeit, die er in weiser Voraussicht immer etwas länger ansetzte als nötig, um unnötige Stresssituationen zu vermeiden, zu nutzen, um das Problem zu lösen.
Nachdem er jedoch den Router neu gestartet, Windows eine Diagnose erstellen lassen und auch sonst alle möglichen kleinen Tricksereien ausprobiert hatte, musste er einsehen, dass er es ohne Hilfe in der kurzen Zeit wohl nicht mehr schaffen würde. Ein Anruf beim Internet-Anbieter versetzte ihn in eine Warteschleife, deren Ende nicht absehbar war, woraufhin er frustriert auflegte.
Als er auf seine Uhr blickte, stellte er zu seinem Erschrecken fest, dass er in all der Aufregung auch noch seinen üblichen Bus verpasst hatte. Genervt verschlang er die Reste seines gesunden Müslis und schlürfte den Kaffee aus. Nun würde er auch noch zu Fuß zum Bahnhof laufen müssen.
Während er nun in Richtung Bahnhof hetzte, achtete er darauf, nicht in die Gesichter der vorbeiströmenden Passanten zu sehen, um nicht auch noch in ein Gespräch verwickelt zu werden. Dort angekommen, musste er feststellen, dass sein Zug gerade abgefahren war, und der nächste erst in knapp dreißig Minuten losfahren würde. Dreißig Minuten auf einem dämlichen Bahnhof, und nichts zu tun, das hatte ihm gerade noch gefehlt!
Er setzte sich auf eine der eisernen Bänke, die im Winter eigentlich immer viel zu kalt waren, sich darauf zu setzen. Es war ihm ein Rätsel, warum sie trotzdem in fast allen Bahnhöfen und Haltestellen aufgestellt worden waren.
Da ihm bereits nach kürzester Zeit langweilig (und kalt!) wurde, wandte er sich an einen anderen Passagier, der sich neben ihn gesetzt hatte und der ebenso bereits anfing, sein Hinterteil in alle Richtungen zu bewegen, um die Kälte zumindest gleichmäßig zu verteilen.
Nach einigen Anfangsschwierigkeiten – er war es nicht mehr gewöhnt, mit Fremden außerhalb von Facebook und LinkedIn zu sprechen – entwickelte sich ein Gespräch über den Sinn oder Unsinn der eisernen Bänke an den Bahnhöfen. Es mochte kein weltbewegendes Thema sein, warum Bahnhofsreisenden der Hintern abfrieren sollte, und doch fühlte es sich irgendwie gut, irgendwie richtig an…
Und plötzlich erkannte er mit seinen 36 Jahren zum ersten Mal, dass ihm morgens weniger das Internet abging, sondern jemand, mit dem er auch tatsächlich sprechen konnte. Dass diese Begegnungen glücklicherweise überall dort, wo sich Menschen aufhielten, nur auf ihn warteten.
Und dass damit er selbst – und nicht sein Laptop – es in der Hand hatte, wie verbunden er sich auch in Zukunft mit seinen Mitmenschen fühlen würde.