#140 Die Reise der Regentropfen

Eine Geschichte über die Abenteuer befreundeter Regentropfen aus der selben Wolke - im Wasserkreislauf, in einer Pflanze, als Cola-Flasche und als Schnee.
(Letztes Update von Niklas Baumgärtler am 26.5.2021)

#140 Die Reise der Regentropfen Barfuß-Geschichten

Unsere Geschichte beginnt hoch über der Erde, fern der Augen der Menschen. Dort oben, in einer kleinen Wolke, warteten die Wassertropfen Wanda, Mirjam, Billy und Sebastian auf ihren großen Tag, an dem sie endlich zur Erde fallen würden. Die größeren Regentropfen hatten ihnen so fantastische Geschichten erzählt, dass sie es kaum erwarten konnten, das große Abenteuer endlich selbst anzutreten. Nur Sebastian, der jüngste und kleinste von ihnen, hatte in bisschen Angst. Was sie wohl erleben würden?

Eines Morgens war es schließlich soweit. Die Wolke war hoch in die Luft gestiegen und dort auf kalte Luft getroffen. Die Regentropfen fühlten, dass es kälter wurde, und irgendwie fühlten sie sich nicht mehr so schwebeleicht wie sonst immer. Genauer gesagt fühlten sie sich schwer… so schwer, dass sie plötzlich durch den Boden der Wolke hindurchflutschten. Erst langsam, dann immer schneller fielen sie, und schon bald hatten sie sich aus den Augen verloren, weil der Wind sie in alle Richtungen verteilte. Würden sie sich wohl jemals wiedersehen?

Wanda, nach Billy die zweitälteste, fiel direkt auf einen Regenschirm hinauf, und wurde dabei wie auf einem Trampolin wieder in die Luft geschleudert. Dann landete sie endlich am Boden, aber es tat gar nicht weh, weil sie in eine Pfütze fiel, wo sie viele Verwandte wiedertraf. Die jammerten sehr, weil es in der Pfütze sehr langweilig war, und man nur Abwechslung bekam, wenn jemand in die Pfütze reinpatschte, aber das kam selten vor. Wanda ärgerte sich: So hatte sie sich ihr Abenteuer nicht vorgestellt! In einer Pfütze bis in alle Ewigkeit warten müssen!

Bald schon aber platschten immer mehr Regentropfen in die kleine Pfütze, so dass sie immer größer und am Ende sogar zu einem kleinen Bach wurde. Die meisten Regentropfen in der Pfütze maulten zwar den lieben langen Tag, dass ihnen langweilig war, aber den Bach entlangzufließen trauten sie sich doch nicht. Wanda hingegen fühlte sich abenteuerlustig und folgte dem Strom einen Kanaldeckel hinab.

In dem Kanaldeckel war es ganz schön stinkig, aber zum Glück hatte Wanda als Regentropfen keine Nase und störte sich nicht daran. Was sie aber störte war, dass der ganze Müll nun an ihr klebte und kaum mehr runterging. Immer tiefer wurde sie durch die Kanäle der Stadt getragen, bis sie in eine Kläranlage kam. Dort wurde der meiste Schmutz wieder von ihr abgewaschen, und nun floss sie in einem ziemlich großen Fluss dahin – das machte Spaß! Immer wieder floss ihr Fluss in einen noch größeren Fluss, und immer schneller bewegte sie sich mit den Fluten. Die Donau brachte den abenteuerlustigen Regentropfen schließlich an Linz vorbei bis ans Schwarze Meer, wo Wanda zum ersten Mal in ihrem Regentropfenleben die Bewegungen richtig großer Wellen durchmachen konnte.

Eines Tages war das Schwarze Meer ziemlich ruhig und Wanda ließ sich gerade gemütlich an der Wasseroberfläche die Sonne auf den Tropfenbauch scheinen, da wurde ihr plötzlich ganz anders, ganz leicht ums Tropfenherz und sie merkte, wie sie gemeinsam mit vielen anderen Tropfen nach oben in den Himmel zu steigen begann. Bald schon waren sie ein riesiger Haufen von Tropfen, die sich zusammenklumpten, um nicht so alleine zu sein.

Der Wind trieb die neue Wolke quer über Europa, und immer wieder traf sie auf andere Wolken, mit denen sie sich verband. Trotzdem war Wanda eines Tages überrascht, ihre alten Freunde aus ihrer alten Wolke wiederzutreffen. Voller Freude erzählte sie ihnen, was ihr widerfahren war.
„Und wo wart ihr denn die ganze Zeit?“, fragte sie neugierig.

Mirjam begann zögerlich zu erzählen: „Ich bin auf etwas Braunes gefallen, das die Menschen wohl ‚Erde‘ nennen, und immer tiefer geflossen. Irgendwann habe ich dann den Boden erreicht und da habe ich gewartet, was als nächstes passiert. Die anderen Tropfen dort haben mir erzählt, sie würden sich bald auf die Reise zum nächsten Fluss machen – wie bei dir, Wanda – aber wie ihr wisst, bin ich ein bisschen schüchtern, und da habe ich mich anfangs nicht getraut. Mit einem Mal gab es einen Ruck, und eine gewaltige Kraft hat ich nach oben gezogen, in eine Art Rohr hinein! Immer höher ging es, und in diesem seltsamen Gebilde habe ich andere Tropfen kennengelernt, die mir erklärt haben, ich bin in einer Pflanze! Aber sobald die Sonne wieder aufgeht – es war nämlich noch nachts – wird es der Pflanze heiß werden, und dann werden wir wieder zurück zum Himmel geschickt. Und so war es auch tatsächlich. Ich bin schon eine Weile wieder hier in dieser Wolke und warte auf euch.“

„Das ist ja noch gar nichts!“, polterte Billy, ungeduldig, endlich seine Geschichte erzählen zu können.
„Ich bin in einen Fluss gefallen, und dieser Fluss hat mich in eine Fabrik geführt, wo Menschen alle möglichen Dinge ins Wasser werfen, damit es schwarz wird und kleine Bläschen macht. Bläschen“, klärte er seine verwirrten Freunde auf, „sind unsympathische Schlägertypen, denen wir Wassertropfen besser aus dem Weg gehen. Aus irgendeinem Grund freuen sich die Menschen darüber, dass sich Bläschen durch uns durchkämpfen. Egal. Am Ende wurden wir in so seltsame Behälter abgefüllt, wo wir einige Zeit darauf warten, dass uns jemand in diesen Behältern mitnimmt, dann kommt der Deckel davon ab und die Menschen lassen uns in sie hineinfließen. Wasser ist für sie ja nicht so das Problem, aber dass sie auch all das andere Zeug, mit dem sie uns Wassertropfen in diesen Fabriken verschmutzt haben, freiwillig in sich reinzuschütten, das hat mich dann doch verwundert! Auf jeden Fall kam ich dann in so eine Art große Höhle, und dort gibt es so eine seltsame Flüssigkeit, die die schlechten Stoffe in ihre Einzelteile auflöst, bevor es weitergeht. Dann geht es in einen langen Schlauch und dort wurde ich auf einmal noch tiefer in den Körper von dem Menschen gezogen. Eine Zeit lang habe ich dann dort als Blut gearbeitet, und irgendwann hat man mir den Auftrag gegeben, einen dieser giftigen Stoffe heraus zu begleiten. Eigentlich sollte ich zur Blase damit, aber ich habe mich wohl ein bisschen verirrt, und dann hat mich der Mensch stattdessen rausgeschwitzt. Nachdem ich das giftige Zeugs losgeworden bin, bin ich eigentlich schon wieder auf der Wolke gelandet. Aber es gibt noch so viel mehr zu erzählen, zum Beispiel als ich -“

„Jetzt lassen wir doch auch mal Sebastian zu Wort kommen!“, meinte Wanda sanft, „der ist so still…“

„Ich bin so still, weil ich etwas Bezauberndes erlebt habe“, meinte Sebastian mit bewegten Tropfenaugen. „Ihr seid ja alle irgendwann rausgeflutscht aus unserer Wolke, aber ich war so ängstlich, dass ich mich an den anderen Tropfen festgeklammert habe. Die Wolke ist mit uns übrigen dann immer weiter nach Norden geflogen, wo es kälter und kälter wurde, und es wurde immer schwieriger, sich noch festzuhalten. Irgendwann habe ich es dann nicht mehr ausgehalten, aber als ich mich schon fürchtete, zu Boden zu fallen und hart aufzuschlagen, habe ich plötzlich fliegen können und bin sanft zur Erde gesegelt. Ganz weiß war ich, und leicht, und zusammen mit unseren Verwandten haben wir so die Erde immer mehr bedeckt. Kinder haben aus uns Häuser gebaut oder Bälle geformt und uns herumgeworfen. Es war wunderbar! Irgendwann war die Sonne so warm, dass wir wieder zu Tropfen wurden und später sind wir wieder aufgestiegen in eine Wolke. Es war so wunderbar, Freunde! Ich habe keine Angst mehr!“

Dann waren die Freunde eine Weile still und ruhten sich aus. Es begann bereits wieder kälter zu werden, und eine wohlige Schwere überkam sie. Wo sie wohl als nächstes landen würden?

Portrait Niklas Baumgärtler

Niklas Baumgärtler

Niklas Baumgärtler interessiert sich für die Kunst der Begeisterung und macht gerne Wechsel- und Hebelwirkungen in Sozialen Systemen sicht- und erlebbar. Mehr über Niklas Baumgärtler...

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