Es ist lange her, dass ich zuletzt geschrieben habe. Zu lange. Ich habe dich vermisst, Gegenüber aus Papier, so formvollendet weil formlos, so voller Potential und doch so leer. Ich habe von dir gelassen, weil ich „etwas aufbauen“ wollte, wenn-dann-richtig-schreiben, mit Sinn, mit Fokus auf eine möglichst gewisse Zukunft. Habe verdrängt, dass Geschichten Wort für Wort errungen werden. Dass das Erleben flüchtig ist und nur die Rückschau bleibt. Die Zukunft aber ist stets ein unbeschriebenes Blatt.
Es tut bisweilen gut, sie sich auszumalen, sie zu konzeptualisieren, solange noch Platz übrig ist sich zu entfalten, an letzten Schräubchen zu drehen, wenn der Moment heranbricht. Nicht nur noch „abzuleben“, was längst definiert und mehrseitig abgesegnet wurde. Immerhin war es ja mal gut, wie kann es da misslingen? Ha!
Und dann habe ich dich getroffen, und du bist in mein Leben geflossen. Sanft, auf Umwegen, irgendwie oft meilenweit entfernt, und doch immer dabei. Ich habe dich geliebt, und ich wollte, konnte dich nicht gehen lassen, selbst dann, als es notwendig erschien. Ich wollte die Kraft aufbringen, dich lieben zu können, auch wenn es meine Grenzen sprengte. Du hast mich nie darum gebeten, dies zu tun, und ja, es ist unfair, dir vorzuwerfen, was doch meine Entscheidung war. Ich hätte auch gehen können, vielleicht auch sollen. Wäre das „authentischer“ gewesen, wie du das gerne zu nennen pflegst? Manchmal ist zu gehen schwieriger als zu bleiben.
Es ist nur dann auch schön, nicht einsperrend, wenn eine solche Verbindung als Geschenk gemeint ist, hast du gesagt. Wahrscheinlich meinst du damit sinngemäß „bedingungslos“. Das war es, immer. Irgendwann jedoch überstieg die Überforderung meine Kräfte. Ich wollte dich nicht hängen lassen, blieb für dich da, so gut ich es vermochte. Und mit dem Schwinden meiner Kräfte erwachte plötzlich ein neues Bedürfnis in mir: gesehen werden. Gewertschätzt für das, was ich aus Liebe versucht habe zu leisten, was ich war und geworden bin. Nicht als Bedingung meiner Liebe, nein! Als unabhängiges Bedürfnis, im Außen als wertvoll erlebt zu werden, und auch mich selbst lieben zu lernen.
Leider fehlt mir darin die Übung. Ich habe in meinem Leben viele komplizierte Mechanismen entwickelt, um mich dem tiefsten Kern nicht stellen zu müssen. Um dorthin vorzudringen, muss ich vorher erst die ganzen Schutzvorrichtungen darüber abbauen. Wer werde ich danach noch sein? Werde ich am Ende dieses Weges noch ein Dach über dem Kopf haben, noch erkannt werden von Freunden und mir selbst im Spiegel? Wer hätte noch Respekt vor mir als Landstreicher, als Sonderling, als der, der sich womöglich zeigen mag?
Ach, würde ich mein Leben leben ohne Hemmungen, so würde ich schreiben, schreiben, schreiben, nicht nur in den Pausen, die die Hülle meines äußeren Lebens mir lässt. Ich würde die Welt so richtig auflaufen lassen an mir, mit all ihren projizierten Bedürfnissen und Formen. Die größte Angst, so wird mir immer mehr bewusst, ist die, uns am Ende allein zu finden. Was, wenn wir irgendwann so ungefiltert wir selbst sind, dass wir uns gegenseitig nicht mehr ertragen können? Können wir dann die alten Masken wieder aufsetzen? Tun, als wäre nichts gewesen, als hätten wir uns nicht längst bereits geschaut?
Deshalb der Spagat von Jetzt-Welt und Verlangen. Deshalb die Worte, die ich nur schreiben kann, niemals aber sprechen. Auf Papier machen sie mich ganz, ausgesprochen bergen sie zu großes Risiko. Ich denke, ich wär vielleicht sogar eine schöne Zumutung. Allein, mir fehlt noch der Mut.